Der Energiecharta-Vertrag: Wie fossile Konzerne Klimaschutz verhindern, Milliarden einnehmen und Staaten tatenlos zusehen

Liebe Leserinnen und Leser,

Der Energiecharta-Vertrag: Wie fossile Konzerne Klimaschutz verhindern, Milliarden einnehmen und Staaten tatenlos zusehen

Es ist ein bislang kaum bekanntes Vertragswerk und doch von großer und vor allem verheerender Bedeutung für den weltweiten Klimaschutz, der Energiecharta-Vertrag (ECT) von 1994. Ursprünglich war er gedacht als Vertrag zur Absicherung westlicher Investitionen in den ehemaligen Ostblock-Staaten mit dem Ziel fehlender Rechtsicherheit vor Ort entgegenzuwirken und so den Handel mit Energie-Rohstoffen zu sichern bzw. zu fördern. Demnach sollten Unternehmen vor einem unabhängigen Schiedsgericht klagen können, wenn sie enteignet werden. So war es zumindest damals gedacht.

Unterzeichnet wurde der Vertrag von 53 Staaten, darunter fast alle europäischen und zentralasiatischen Staaten, von der EU selbst, Japan und die Türkei. Nun torpediert aber der Vertrag viele staatliche Klimaschutzbemühungen und könnte die EU-Staaten hunderte Milliarden Euro kosten. Denn mittlerweile nutzen fossile Energieunternehmen den Vertrag nicht zur Einklage verlorener Auslandsinvestitionen, sondern auch EU-Staaten selbst werden auf Milliarden-Entschädigungen verklagt, wenn sie neue Klimamaßnahmen auf den Weg bringen. Außerdem könnte die Angst vor solchen Forderungen Staaten dazu verleiten ihre Klimapolitik aufzuweichen, um den Klagen zu entgehen.

Das Ergebnis einer umfangreichen Recherche von „Investigate Europe“ zeigt: „Das ist kein fernes Zukunftsszenario. Es hat bereits begonnen.“ Mittlerweile befassen sich 66% der Energiecharta-Fälle mit den Klagen von Investoren aus der EU gegen EU-Staaten. Das internationale Recherche-Team zeigt auf, wie weitreichend die Folgen sein könnten. Der Wert der fossilen Infrastruktur, die betroffen sein könnte, beläuft sich auf fast 350 Milliarden Euro, das wären ca. 660 Euro pro EU-Bürger*in.

Bereits vor 4 Jahren mahnte ich, dass Deutschland – so wie es Italien schon tat – schnellstmöglich aus dem Vertrag aussteigen sollte, um den Kohle- und Atomkonzernen endlich die Investitionssicherheit zu nehmen. Bis heute hat sich aber nichts geändert.

Daher ist es wichtig, dass nun EU-weit versucht wird, den Druck auf die EU selbst und ihre Mitgliedsstaaten aufrecht zu erhalten, um den Energiecharta-Vertrag zu beerdigen. In einer groß angelegten Petition fordert ein internationales Bündnis aus NGOs, Thinktanks und Zivilgesellschaft die Kommission, das Europäische Parlament und die nationalen Regierungen dazu auf, den Energiecharta-Vertrag zu verlassen und seine Ausweitung zu verhindern. Bis jetzt haben über 1 Millionen Personen und Organisationen unterschrieben. Auch Sie können hier unterschreiben.

Wenngleich es für aussteigewillige Regierungen schwer werden wird, den Vertrag einfach so zu verlassen oder den Vertrag als Ganzes so zu reformieren, dass er nuklearen und fossilen Konzernen nicht mehr dazu dienen kann, Regierungen zu verklagen, weil diese beschließen, die Erde nicht mehr verseuchen und das Klima nicht weiter erhitzen zu wollen.

Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los

Die westliche Staatengemeinschaft wollte sich ein Hilfsmittel schaffen, das sich nun gegen sie selbst und den Klimaschutz kehrt. Und anders als in Goethe’s Zauberlehrling gibt es keinen Meister, der dies alles ungeschehen machen kann. Denn obwohl beispielsweise Spanien und Frankreich erwägen, auszutreten (Italien ist ja bereits ausgetreten) und innerhalb der EU eine teilweise Einigung besteht, dass der Vertrag zumindest reformiert werden müsste, ist keine Besserung in Sicht. Denn erstens ist sich die EU über die Details uneins, zweitens ist unsicher, ob eine Vertragsänderung die Lage verbessern würde und innerhalb des Vertrages als sogenannter „inter-se“ Vertrag überhaupt zulässig ist und nicht wiederum beklagt werden könnte. Drittens können Staaten auch nach Austritt aus dem ECT noch 20 Jahre lang verklagt werden. Das geschieht zum Beispiel im Falle von Italien, das Land trat 2016 aus und wurde ein Jahr später (erfolgreich) vom Öl-Konzern Rockhopper verklagt aufgrund eines Verbotes von küstennaher Ölförderung.

Selbst ein Austritt Deutschlands könnte also ein Schrecken (fast) ohne Ende bedeuten. Dies macht die Notwendigkeit eines Austritts aber nicht weniger notwendig. Vielmehr sollte sich die europäischen Staatengemeinschaft darüber hinaus die Frage stellen, wie es passieren konnte, dass man sich durch diesen Vertrag selbstbestimmt der Klage-Willkür von Unternehmen unterworfen hat, deren Geschäftsmodell dazu noch auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Erhitzung des Klimas besteht.

Zudem sind natürlich auch die Konzerne selbst gefordert, keine Klage zu erheben. Ihre Investitionen wurden alle getätigt, als die zunehmenden Probleme der Erderwärmung, sowie der radioaktiven Gefahren längst bekannt waren. Dennoch haben sie alle Warnungen und Proteste von Umweltschützer*innen in den Wind geschlagen. Eigentlich müssten die verantwortlichen Konzernchefs auf die Anklagebank und nicht die Staaten, die wenigstens nachträglich ihre Klimaschutzsünden korrigieren wollen.

Hammelburg, 22. März 2021

Ihr Hans-Josef Fell