Die Menschen in der Ukraine wollen endlich verlässliche, eigene, lokale Erneuerbare Energien
Vom 28. April bis zum 2. Mai 2025 fand in Truskavez in der Westukraine die große Konferenz „Carpathian Sea – Demokratische Woche“ statt.
Hunderte Teilnehmende diskutierten dort Wege, wie Frieden geschaffen, die Demokratie gestärkt und das Überleben in Kriegszeiten gesichert und erträglicher gestaltet werden kann.
Großes Interesse galt dem Forum „Erneuerbar. Dezentral. Wasserstoff: Eine neue Energieidentität der Ukraine. Grüne Erneuerung der Ukraine.“
In meinem per Video zugeschalteten Vortrag machte ich deutlich, dass eine kostengünstige und zugleich sichere Energieversorgung vor Ort nur durch 100 % Erneuerbare Energien in dezentralen Strukturen möglich ist.
Vortragspräsentation (PowerPoint) in Englisch und Ukrainisch
Die Resonanz war groß. Bürgermeister, NGOs und Politiker verfolgten aufmerksam die Vorträge und diskutierten lebhaft über die vorgestellten Möglichkeiten.
Die Energienot in der Ukraine ist groß
Kein Wunder: Der furchtbare russische Angriffskrieg zeigt schonungslos die Verwundbarkeit der zentralisierten Energieversorgung auf – zerschossene Strom- und Erdgasleitungen, zerstörte Erdölraffinerien, Kohle-, Erdgas- und Atomkraftwerke.
Die Not der Menschen ist groß, da sie oft keinen Strom haben und im Winter kaum heizen können.
Fachleute aus der Ukraine berichteten mir Details über die untragbare Energieversorgung:
Der Verlust von mehr als 52 % der Stromerzeugung in den Jahren 2022 bis 2024 sowie der Ausfall von fast 85 % der Wärmekraftwerke und rund der Hälfte der Wasserkraftwerke haben den ukrainischen Stromerzeugungsmarkt in eine langfristige Krise gestürzt.
Die zunehmende Intensität der Raketenangriffe im Vorfeld des Winters 2024/2025 hat zu dauerhaften Stromversorgungseinschränkungen von 8 bis 12 Stunden pro Tag geführt. Mit Ausnahme einiger weniger kritischer Infrastruktureinrichtungen wird es voraussichtlich in allen Regionen der Ukraine keinen vorhersehbaren Stromversorgungsplan mehr geben. Das gesamte Energiesystem des Landes könnte in vier regionale Teilsysteme mit unterschiedlichem Stabilitätsgrad zerfallen.
Intensiver feindlicher Beschuss richtet sich gezielt gegen eine begrenzte Anzahl von Energieanlagen, die für die Versorgung des gesamten Landes entscheidend sind. Ein Durchbruch der Luftverteidigung von auch nur 10 % der Raketen und Kamikaze-Drohnen verursacht wöchentlich erhebliche zusätzliche Schäden.
Die Stromimporte aus den benachbarten EU-Ländern dürften 2 GW nicht überschreiten – das entspricht nur etwa 10 % der verlorenen Energiekapazität. Der massive Einsatz von Gas- und Dieselgeneratoren wird kaum mehr als 9 % des Defizits abdecken.
Meine Botschaften, die ich bereits vor dem Krieg in Anhörungen im ukrainischen Parlament vertreten hatte – damals noch mit wenig Resonanz –, fanden diesmal große Beachtung. Denn inzwischen erkennen immer mehr Menschen in der Ukraine:
Nur mit einer lokalen, zu 100 % auf Erneuerbaren Energien basierenden Versorgung lässt sich die Energiesicherheit stärken, die Abhängigkeit von russischem Erdgas, Erdöl, Kohle und atomaren Brennstoffen überwinden – und gleichzeitig ein Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Eine Resolution wurde auf der Konferenz verabschiedet und bereits von wichtigen Organisationen mitgetragen.
Lesen Sie hier die ganze Resolution:
Resolution von Truskavets 2025:
Ein dezentralisiertes, öffentliches, verteiltes Energiesystem, das zu 100 % auf erneuerbaren und sauberen Energiequellen basiert und die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft anwendet, ist der Schlüssel zur Sicherstellung der Energieversorgung der Ukraine, zur Gewährleistung der Energiesicherheit, zur Erreichung der Klimaziele und zur Verwirklichung des national festgelegten Beitrags
Die Probleme:
- Die Militäraggression Russlands gegen die Ukraine hat erhebliche Auswirkungen auf die Energiesicherheit der Ukraine und schafft offensichtliche Klimarisiken:
- Fossile Energielieferungen werden von Russland und anderen diktatorischen Regimen als politische Waffe u.a. gegen Europa eingesetzt
- Fossile Energieexporte und Exporte von Atomtechnologien sind die Haupteinnahmequellen der russischen Kriegswirtschaft
- Große zentrale Energiestrukturen (Zentrale Leitungsnetze, Großkraftwerke auf Basis von Kohle, Erdgas, Ölraffinerien, Atomkraftwerke, große Wasserkraft) sind Hauptziele der russischen Angriffe. Das russische strategische Ziel ist eine Zerstörung der zentralen Energieerzeugung und Verteilung der Ukraine, um die lebensnotwendige Energieversorgung (Strom, Wärme, Treibstoffe) und damit den Überlebenskampf der ukrainischen Gesellschaft zu zerstören.
- Die Klimakatastrophe
- Neben den russischen Angriffen, Eroberungen und Zerstörungen ist die Klimaveränderung die zweite fundamentale und existenzielle Bedrohung auch der Ukraine. Sie verstärkt die Schäden des russischen Angriffskrieges erheblich.
- Die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kakhovka hat zu noch nie dagewesenen Klimaereignissen und einer Umweltkatastrophe geführt, die sich bereits negativ auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme auswirkt.
- Extreme Dürreperioden mit katastrophalen Ernteausfällen nehmen zu. Die Ernährung ist gefährdet und verstärkt die Auswirkungen des Angriffskrieges erheblich
- Extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Hitzewellen zerstören Infrastruktur, Ernten und Leben.
- Armutszunahme
- Immer mehr Menschen haben zeitweise gar keinen Zugang mehr zu Energie, Strom, Treibstoffe und Wärme und leben daher in bitterer Armut
- Hohe und steigende Energiepreise verstärken das Ausmaß der Armut zusätzlich
- Die fortwährende Instandsetzung zerstörter zentraler Energieinfrastruktur erhöhen die Energiepreise
- Zunehmende Abhängigkeit von Importen fossiler Rohstoffe und atomarer Brennelemente erhöhen die Energiepreise.
Die Lösung:
Dezentrale kommunale Selbstversorgung mit 100 % erneuerbarer Energie und Kreislaufwirtschaft
Die lokalen Gemeinschaften sollten als Energieverbraucher eine Schlüsselrolle im neuen Energiesystem spielen und dessen Logik verändern.
Die Gemeinden sollten die Grundlage für die Energiesicherheit und den Aufschwung des Landes bilden.
Das Energiepotenzial der Gemeinden sollte genutzt werden, um die Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen, Regionen wiederherzustellen und das ökologische Kapital der Gebiete zu schützen
Dezentrale Erneuerbare Energien Erzeugung versorgt vor Ort: Privathäuser, Kommunen, Produktionsbetriebe und soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser.
Ökostrom und Speicherinvestitionen sind heute die kostengünstigste Art der Energieerzeugung (Strom, Wärme, E-Mobilität) und sind gleichzeitig emissionsfreier Klimaschutz.
Kleine und mittlere erneuerbare Erzeugungsanlagen und Energiespeicher in jeder Kommune sichern eine autonome Energieversorgung: Wenn die zentrale Stromversorgung ausfällt, ist die Kommune, sind die Häuser weiter versorgt.
Überproduktion über den Eigenbedarf hinaus kann die Energieversorgung der Städte in den Regionen liefern.
Erzeugung:
- Solaranlagen (PV und Solarthermie) auf Dächern und Feldern (Agri-PV als Ernteschutz vor Hagel, Starkregen, Hitze)
- Windkraftanlagen in jedem Dorf
- Biogas-und Pflanzenöl Blockheizkraftwerke zur Ergänzung der winterlichen Solarschwäche für Strom und Wärme; Pflanzenöle z.B. für Traktoren
- Wasserkraft: Ausbau der dezentralen kleinen Wasserkraft, dezentrale neuartige Flußströmungskraftwerke, Flußwärmepumpen für die Wärmeversorgung
- Geothermie: oberflächennah und Tiefenerdwärme für Nah- und Fernwärmesysteme
Speicherung:
- Kurzzeitspeicher: Batterien, Redox-Flow , grüner Wasserstoff, kleine Wärmespeicher
- Langzeitspeicher für saisonale Sommer-Winterspeicher: große Wärmespeicher, im Sommer geerntete Biomasse für die Versorgung im Winter, grüner Wasserstoff
Sektorenkopplung:
Nutzung der Erneuerbaren Energien für Strom, Wärme, Verkehr
Intelligente, digitale Steuerung der autarken Stromversorgung und Speicherung mit einem Mix aus 100% Erneuerbare Energien, Speichern, E-Mobile, intelligente Ladeinfrastruktur (bidirektionales Laden), Wärmepumpen, Infrarot Wandstrahlungsheizung, u.a.
Die Umsetzung:
- Privates Investment für das energieautarke private Haus
- Energy sharing: Vernetzung der Häuser in der Nachbarschaft und im Quartier mit Energieaustausch, Strom, Wärme, Ladeinfrastruktur, Gesetzliche Grundlage schaffen nach der EU-Energierichtlinie
- Gründung von Energiegemeinschaften und lokaler Energieversorger (Stadtwerke) für den Bau von gemeinschaftlichen Wind-, Wasserkraft, Biogas- Speicheranlagen, Nahwärmeversorgung, die die örtliche Versorgung autark sichern.
- Vergrößerung der dörflichen Erzeugung über den Eigenbedarf hinaus zur Versorgung der Städte in der Region.
Organisatorische und politische Unterstützung:
Aufbau eines internationalen Netzwerkes für den Austausch des Know How von erfolgreichen Initiativen zu den lernenden Initiativen.
- Internet: (COPx)
- Internationale Partnerschaftsvermittlungen von Bürgerenergiegemeinschaft Kommunen, Stadtwerke über die EU
- Gesetzliche Vergütungszahlungen durch die Netzbetreiber für systemdienlich eingespeisten bürgerlichen und gemeinschaftlichen Überschuss-Ökostrom zur Versorgung der Städte; Finanzierung der Mehrkosten durch EU Förderprogramme (GET Fit)
- Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie für Energy-Sharing
- Direkte Investitions-Förderung für bürgerliche Projekte durch EU-Mittel
Wir Teilnehmer der Konferenz in Truskavets 2025 rufen alle Politiker, Unternehmen, BürgerInnen und Bürger der Ukraine, der EU und darüber hinaus auf, die in der Resolution beschriebene Strategie einer 100% Vollversorgung mit Erneuerbare Energien schnell umzusetzen und zu unterstützen.
Truskavets 2. Mai 2025
Erstunterzeichner:
Hans-Josef Fell, Mitglied Deutscher Bundestag 1998 -2013
President of the Energy Watch Group
Yevgen Mykhalchenko
Chairman of the Supervisory Board
East European Association for the Development of the Hydrogen Economy „Hydrogenbridge“
Vasyl Doronin
Chairman of the Ukrainian Hydrogen Association
Svitlana Svyrydenko
Advisory Board Member/Strategic Advisor
NOCON AS
Natalya Klychnik,
Exekutivdirektorin der
Executive Director of the
Association of Village, Settlement Councils and Amalgamated communities of Ukraine
Zabulonov Yuriy
Academician of the NAS of Ukraine
Professor, Doctor of Engineering
Director
Institute of Environmental Geochemistry of the National Academy of Sciences of Ukraine
Golda Vinogradskaya
President of the
National Sectoral Partnership in the Light Industry of Ukraine
Link: Hier finden Sie die Resolution auch in Englisch und Ukrainisch