Atomrenaissance? Weltweit keine Chance, trotz aller Propaganda!

Liebe Leserinnen und Leser,

Atomrenaissance? Weltweit keine Chance, trotz aller Propaganda!
Und doch ist gerade die nächste Atomlaufzeitverlängerungskampagne gestartet

Offensichtlich hat die Atomwirtschaft eine neue Kampagne für die nächste Laufzeitverlängerung gestartet. Ausgerechnet „Die Zeit“ hat dieser neuen Propagandarunde einen breiten Raum gegeben und lässt Atomforscher ihre allseits bekannten, aber wissenschaftlich und in der Realität längst widerlegten Argumente für die Atomenergie vortragen.

Natürlich wird ein angeblicher Beitrag der Atomkraft für den Klimaschutz in den Ausgangspunkt der Argumentation gestellt. Wie absurd das ist, haben viele, u.a. die Energy Watch Group schon längst vorgerechnet: Um mit Atomenergie nur 10% der heutigen globalen CO2-Emissionen bis 2050 zu senken, müssten bis dahin 2184 neue Atomkraftwerke je 1 GW, neu gebaut werden, also jeden Monat etwa 8 neue Atomkraftwerke ans Netz gehen. Eine absurde Vorstellung, für die weder das Kapital aufgebracht werden kann, noch genügend Uran für den Betrieb gefördert werden könnte.

Wie immer werden aber die bekannten Mythen bedient: Die deutschen Anlagen gehören angeblich weltweit zu den technisch ausgereiftesten ihrer Generation, was wohl suggerieren sollte eine besonders hohe Sicherheit zu bieten. Dieses Propagandaargument wurde schon in der Atomlaufzeitverlängerungskampagne von 2009 ausführlich bedient, welche ja zur Laufzeitverlängerung unter Kanzlerin Merkel in 2010 führte.

Auch die bekannten und längst von der Realität widerlegten Mythen gegen die Erneuerbaren Energien werden wie immer hervorgeholt. So behaupten die Autoren blind für jede Realität, dass Stromspeicher für den Ausgleich der Schwankungen von Solar- und Windenergie nicht rechtzeitig kommen könnten. Sie ignorieren die vielen Studien und realen Marktentwicklungen, nicht nur der EWG, dass für 100% Erneuerbare Energien alle Möglichkeiten vorhanden sind und mit entsprechenden Gesetzesänderungen auch schnell eingeführt werden können, wie der Spiegel längst berichtete.*

Das Festhalten an der Atomenergie ist schlichtweg absurd und höchst schädlich – aus volkswirtschaftlicher wie auch betriebswirtschaftlicher Sicht, aus Gründen der Sicherheit, der allgemeinen Gesundheit, der ungelösten Entsorgungsfragen und der Atomkraft als Quelle für nukleare Waffen. Jüngste Beispiele z.B. aus Tschechien und Japan finden eben nicht den Weg in die mediale Berichterstattung:

Bespiel Tschechien

So peitscht die tschechische Regierung gerade gegen alle ökonomische Vernunft den seit Jahrzehnten geplanten Ausbau eines Reaktors in Dukovany durch, geplanter Baubeginn 2029, geplante Fertigstellung 2036.

Seit Jahren sucht die Regierung in Prag eine Finanzierungslösung, da sich wie immer weltweit kein privater Investor in das finanzielle Abenteuer des Baus und Betrieb eines Atomreaktors begeben will.

Nun sickert aber durch: Die Regierung (hochverschuldet) will den Reaktor mit 70% selbst bezahlen, den Rest soll der Energieversorger CEZ beitragen. Damit trägen die tschechischen Steuerzahler*innen den Großteil des Risikos für ein zum Scheitern verurteiltes Projekt. Die Baukosten sollen bei rund 6,1 Milliarden Euro liegen, was nach allen Erfahrungen der weltweiten Reaktorneubauten der letzten Jahre viel zu niedrig angesetzt ist.

Darüber hinaus muss die Europäische Kommission dem nahezu zinsfreien Kredit der tschechischen Regierung erst einmal zustimmen. Währenddessen plant die Regierung die Vetragsunterschrift für den Kredit bereits am kommenden Dienstag.

Da viele Atomreaktoren selbst nach einer Bauzeit von Jahrzehnten (z.B. Oikilouto in Finnland) keinen Betrieb aufnehmen können, wird der Staat wohl die Milliarden an Schulden abschreiben müssen. Wollte aber CES wirklich den Betrieb aufnehmen, könnte das nur gelingen, wenn der Strompreis in Tschechien massiv erhöht wird. Doch auch das wird nicht gelingen, weil über die Warenverkehrsfreiheit der EU wesentlich billigerer Ökostrom z.B. aus Deutschland viele Kunden auch in Tschechien gewinnen wird.

Blind für ökonomische Argumente hat die Atomlobby die Regierung in Prag fest im Griff und könnte so das ganze Land zumindest finanziell in starke Bedrängnis bringen. Ich habe selbst in meinen Gesprächen mit der tschechischen Regierung letztes Jahr erlebt, wie vollkommen taub die Regierung dabei ist.

Nun versucht die Atomlobby wenigstens die Laufzeitverlängerungen von fertigen Atomreaktoren als ökonomisch sinnvoll zu beschreiben. Auch dieses Argument wird durch die Entwicklung in Japan völlig widerlegt.

Beispiel Japan

Je länger der furchtbare, atomare Super-GAU in Fukushima zurückliegt, desto stärker sind die Bemühungen der nuklearen Industrie und ihrer politischen Unterstützer in der japanischen Regierung, die Atomkraft wieder voranzutreiben.

Die Realität der letzten Jahre zeigt aber, dass trotz starker politischer Unterstützung die Atomkraft in Japan nicht das angestrebte Ziel erreichen kann, bis 2030 wieder 20%-22% der Stromversorgung abzudecken und schon gar nicht zu alter Stärke zurückfinden. Das belegt eine eindrucksvolle Studie des japanischen Thinktanks Renewable Energy Institute (REI).

Aus den von den Wissenschaftler*innen gesichteten Daten aller japanischen Atomkraftwerke geht hervor, dass der Anteil der Atomkraft am gesamten Stromverbrauch des Landes trotz einseitiger Atompolitik schon vor Fukushima im Abnehmen begriffen war, von 398 TWh 1998 bis 299 TWh im Jahr 2009.

Im Anschluss an die Fukushima-Katastrophe sank der Atomstrom bis auf 0 TWh im Jahr 2014 und erholt sich seitdem höchst schleppend bzw. stagniert weitestgehend seit 2018 auf einem Niveau von 64 TWh, also einem Bruchteil der vorherigen Stromproduktion. Die derzeitige maximal mögliche Gesamtleistung aller bestehenden 33 Reaktoren beläuft sich auf 33 GW, wovon über die Hälfte der Kernkraftwerke (17) entweder noch keine Genehmigung zum Wieder-Anlaufen erhalten hat oder sich noch nicht einmal für eine solche Genehmigung beworben hat.

Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Erneuerbaren die Kernenergie bereits weit überflügelt haben. So liegt der Anteil an der Atomkraft an gesamten Stromproduktion derzeit bei 6%, während die Erneuerbaren bei 19% liegen. Die Solarenergie hat fast alleine in den letzten 8 Jahren für einen Zuwachs von 11% auf 19% gesorgt. Würde die japanische Regierung auch endlich die Windkraft, die Geothermie und Wellenkraft mit ihren riesigen Potentialen, so wie die Atomenergie unterstützen, wären 100% Erneuerbare Energien in Japan schnell und kostengünstig machbar.

Die Japanische Regierung plant die Treibhausgase bis 2030 um lächerliche 26% zu verringern, diese Strategie beinhaltet ein Hochfahren der atomaren Kapazitäten auf 20-22% der Stromversorgung. Die Analysen des REI zeigen nun, dass dieses Ziel nicht zu erreichen ist. In Ihren Projektionen kann die Atomenergie allerhöchstens auf 15% bis 2030 kommen und das auch nur, wenn alle existierenden Reaktion nahezu voll ausgelastet durchlaufen und die zwei, derzeit in Konstruktion befindlichen Anlagen, schnellstmöglich ans Netz angeschlossen werden. Ein höchst unwahrscheinliches Szenario, da ab 2024 bereits zwei der bestehenden Reaktoren das Ende ihrer 40-jährigen Laufzeit erreicht haben werden.

Darüber hinaus liegen auch in Japan die Kosten für Kernenergie über denen der Erneuerbaren, insbesondere Solar PV. Vor allem die Kosten für einen Start bzw. Re-Start eines Reaktors ($79/MWh – $120/MWh) – immerhin 17 Reaktoren müssten wieder hochgefahren und 2 neue Reaktoren hochgefahren werden – liegen über dem heutigen Strompreis ($73/MWh), während vor allem Solarenergie ($70/MWh) bereits darunter liegt und die Kosten weiter sinken werden.

Selbst in Japan, einer der Atomnationen schlechthin, hat die Atomkraft trotz massiver Regierungsunterstützung bereits heute keine Zukunft mehr, weder aus Sicht des Klimaschutzes, noch aus ökonomischer Sicht.

Zurück nach Deutschland

Und wie desaströs die ökonomische Lage der Atomwirtschaft weltweit aussieht, hat das DIW in einer Studie 2019 hervorragend belegt. All diese beeindruckenden Realitäten über die wahren Verhältnisse des Versagens der Atomwirtschaft finden in vielen großen Medien in Deutschland kaum Resonanz. Lieber geben sie so wie die Zeit den längst widerlegten Propagandaaktivitäten der Atomlobby immer wieder Raum.

Der Zeitpunkt für die Eröffnung dieser neuen Laufzeitverlängerungskampagne ist bewusst gewählt. Über das ganze letzte Jahrzehnt hinweg hat die atomar/fossile Wirtschaftslobby den einst starken Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland mit Hilfe von willfährigen Regierungen aus CDU/CSU, FDP und SPD zu Fall gebracht. Nun bedienen sie das Argument, der Ausbau der Erneuerbaren Energien sei zu schwach und aus Klimaschutzgründen wäre es doch sinnvoll, die letzten Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.

Die Zeiten wiederholen sich. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, mit welcher Vehemenz und zum Teil fragwürdigen Methoden der damalige Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion und heutiger Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Laufzeitverlängerung 2010 durch den Umweltausschuss und den Bundestag boxte. Es war damals im Wesentlichen die gleiche Ignoranz, die die Gefahren und völlige Unwirtschaftlichkeit der Atomwirtschaft hinwegwischte, genauso so wie wir sie heute wieder z.B. im Gastartikel der Zeit lesen können.

Hammelburg, 23. Juli 2020

Ihr Hans-Josef Fell

 

* Anmerkung: Ursprünglich stand an dieser Stelle ein Satz, der der Zeit vorwarf, bereits 2010 die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke aktiv befördert zu haben. Hier ist mir ein Fehler in meinen Recherchen unterlaufen, sowohl der von mir angeführte Artikel, als auch weitere Artikel um 2010 aus Die Zeit werfen einen kritischen Blick auf die Laufzeitverlängerung. In meinen Recherchen versuche alles exakt zu überprüfen, das ist hier leider nicht gelungen, weshalb ich das hiermit korrigiere. Die entsprechende Textpassage wurde online entfernt. Stehen bleibt aber die Kritik an der Zeit, aktuell der Kampagne für eine erneute Atomkraftwerks-Laufzeitverlängerung ein Podium zu geben.