VerfassungsrechtlerInnen fordern erneut eine verfassungskonforme Klimaschutzpolitik

Die Ampelkoalition plant, das noch aus der Zeit der Merkelregierung stammende Klimaschutzgesetz abzuschwächen.

Dabei ist bereits das bestehende Klimaschutzgesetz viel zu schwach, um wirksamen Klimaschutz zu gewährleisten. So werden mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 weiterhin erhebliche Mengen an Treibhausgasen emittiert, was die beschleunigte Erwärmung des Klimas vorantreibt. Die Behauptung der Bundesregierung, dass die Einhaltung des auch für Deutschland völkerrechtlich verbindlichen Ziels einer Temperaturerhöhung der Atmosphäre um 1,5 Grad Celsius bis 2045 möglich sei, ist schlichtweg eine Täuschung der Öffentlichkeit.

Extremwetterkongress in Hamburg mit alarmierenden Erkenntnissen

Auf dem Extremwetterkongress in Hamburg letzte Woche wurden alarmierende Erkenntnisse präsentiert. Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, erklärte: „Wir müssen uns damit abfinden, dass die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden wird. Damit ist das Pariser Rahmenabkommen in diesem Punkt faktisch gescheitert.“ Das bedeutet auch, dass es nur noch mit enormen Anstrengungen möglich sein wird, die Erwärmung unter der 2-Grad-Grenze zu halten. Aktuell bewegen wir uns eher in Richtung einer Erwärmung um 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts.

Tobias Fuchs vom Deutschen Wetterdienst beleuchtete die Konsequenzen: In diesem Jahr ist weltweit mit Rekordtemperaturen zu rechnen, die jedoch bereits im kommenden Jahr übertroffen werden könnten. Waldbrände wie im Sommer rund ums Mittelmeer, Sturzfluten und Überschwemmungen wie vor einigen Wochen in Libyen und Griechenland werden in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. In Deutschland sind im Sommer schwere Gewitter mit Hagel und Starkregen zu erwarten, gefolgt von wochenlanger Trockenheit. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland im Jahr 1881 ist die Durchschnittstemperatur bereits um 1,7 Grad gestiegen. Man kann den globalen menschengemachten Temperaturanstieg nicht mehr aufhalten, sondern nur noch verlangsamen, so das Fazit von Fuchs.

Diese alarmierenden Erkenntnisse sollten eigentlich zu einer massiven Beschleunigung der Klimaaktivitäten in Politik und Gesellschaft führen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Bundesregierung hat gerade eine Novelle des Klimaschutzgesetzes in das Parlament eingebracht, die darauf abzielt, gesetzliche Klimaschutzmaßnahmen eher zu schwächen als zu stärken. Dies wird sogar vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung kritisiert.

Anstatt verstärkt für mehr Klimaschutz einzutreten, hetzt der Unionsvorsitzende Merz geradezu gegen jede neue Klimaschutzaktivität und trägt so zur Verunsicherung der Bevölkerung bei, insbesondere im Hinblick auf das Heizungsgesetz.

JuraprofessorInnen appellieren eindringlich an die Politik, den Verfassungsauftrag zum Klimaschutz einzuhalten

Zu dieser aktuellen Novelle des Klimaschutzgesetzes wurde Ende August ein Appell von über 60 Verfassungs- und Völkerrechtlerinnen an Universitäten veröffentlicht. Die Wissenschaftlerinnen fordern die gesetzgebenden Organe des Bundes auf, das Klimaschutzgesetz nicht abzuschwächen. Sie rufen die Bundesregierung dazu auf, ein effektives Klimaschutzprogramm mit ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele und damit der völker- und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu beschließen.

Die Jura-Unterzeichnenden erinnern insbesondere an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im März 2021, in der klargestellt wurde, dass das Grundgesetz zu wirksamen Maßnahmen gegen die Erderwärmung verpflichtet.

Aufforderung zur Wahrung der Verfassungsrechte bei Klimaprotesten

Gleichzeitig kritisieren die Unterzeichnenden viele mediale Diskussionsbeiträge über bestimmte Protestformen, wie etwa Straßenblockaden. Insbesondere Forderungen nach einer Verschärfung straf- und polizeirechtlicher Reaktionen sind beunruhigend und in vielen Fällen verfassungsrechtlich fragwürdig, denn das Versammlungsrecht schützt auch Protestformen, die disruptiv wirken und von der Mehrheit als Störung empfunden werden.

Viele Medien ignorieren diese Stellungnahme einer großen Gruppe von Verfassungs- und VölkerrechtlerInnen

Unentwegt berichten auflagenstarke Medien in Deutschland über die Proteste von Klimaschützerinnen und Klimaschützern. Insbesondere die Straßenblockaden der Letzten Generation werden in Berichten und vielen Kommentaren oft an den Rand der Staatsfeindlichkeit gedrängt. Dabei fordern die Protestierenden gerade die Einhaltung des Grundgesetzes und sind damit im Gegensatz zu denen, die das Klima mit weiteren Emissionen schädigen, verfassungskonform. Gleichzeitig erhalten die Forderungen großer Interessensgruppen wie der Industrie, Bauwirtschaft oder Gewerkschaften nach weniger Klimaschutzmaßnahmen breiten medialen Raum.

Es ist erschreckend zu sehen, dass, abgesehen von wenigen Ausnahmen, der Großteil der auflagenstarken Medien diesen eindringlichen Appell der JuraprofessorInnen ignoriert und stattdessen täglich gegen stärkeren Klimaschutz und Klimaschutzproteste Stimmung macht.

Die Süddeutsche Zeitung hat den Appell stark und richtig kommentiert: „Die Bundesregierung bricht fortlaufend deutsches Recht.“ Auch haben die Berliner Zeitung, die taz, Zeit Online, der Tagespiegel und die Main Post positiv darüber berichtet.

Dennoch sollten gerade die großen Medien prominent über einen solchen Appell informieren, vor allem wenn sie kontinuierlich die aktuelle Klimapolitik als zu weitgehend und die Klimaproteste als zu störend kritisieren. Eigentlich ist kaum zu verstehen, warum insbesondere die Springermedien wie Bild und Welt nicht substanziell dazu berichten. Doch das ist kein Wunder. Gerade wurde der bedeutendste Gesellschafter der Axel-Springer-Gruppe, das Finanzunternehmen KKR, dabei entlarvt, bedeutende russische Erdölgeschäfte zu tätigen.  Es liegt nahe, dass Springer-Medien beim Klimaschutz wohl sehr zurückhaltend berichten, um die Geschäfte von KKR nicht zu stören.

Es ist nicht nur höchst beunruhigend, dass die Klimakatastrophen permanent und massiv zunehmen, wie in diesem Sommer. Mich beunruhigt genauso stark, dass ein wichtiger Teil der auflagenstarken Medien eine stärkere Politik für mehr Klimaschutz unentwegt als zu teuer und als zu hohe Belastung kritisiert. Gleichzeitig werden die verzweifelten Klimaprotestierenden vielfach kriminalisiert, die klaren Aussagen von ProfessorInnen aus dem Verfassungs- und Völkerrecht weitgehend ignoriert, ebenso wie die alarmierenden Erkenntnisse der Wetterextremforscher.

Sehen diese Journalistinnen und Journalisten von u.a. Bild, Spiegel, FAZ, Welt, Handelsblatt, ARD, ZDF, DPA denn nicht, dass sie mit der dauerhaften Betonung, Klimaschutz sei eine Belastung, nicht nur die Zukunft der Gesellschaft, sondern auch ihre eigene persönliche Zukunft und die ihrer Kinder in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in den Wirren zunehmender Wetterextreme aufs Spiel setzen?