Rettet die Mühlen

Liebe Leserinnen und Leser,

Dieser Text wurde am 07.06.2020 als Gastbeitrag von Hans-Josef Fell und Manfred Hempe in der Frankfurter Rundschau auf fr.de veröffentlicht.

 

Rettet die Mühlen

Hessen will die Fische schützen – und bedroht die Existenz kleiner Wasserkraftwerke. Das ist unnötig und schadet dem Klima. Der Gastbeitrag.

Ausgerechnet in Zeiten der Corona-Pandemie und des akuten Klimawandels flattern im Regierungsbezirk Kassel den Betreibern vieler, oft jahrhundertealter Wasserkraftanlagen Bescheide der Oberen Wasserbehörde ins Haus, die meist den wirtschaftlichen Ruin der Anlagen bedeuten. Gerade die Katastrophen, Pandemie und Klimawandel zeigen aber, wie wichtig stabile dezentrale Strukturen sind.

Grund für die Bescheide ist der vom hessischen Umweltministerium 2018 in Kraft gesetzte neue „Mindestwassererlass“. Er fordert drastisch höhere Wassermengen, die nicht mehr zur Stromerzeugung genutzt werden können (die FR berichtete). Für die Wasserkraftanlagen (Mühlräder und Turbinen) an den Ober- und Mittelläufen der Gewässer bedeutet dies eine bis zu achtmonatige Stillstandzeit.

Sie bewirkt neben den wirtschaftlichen Einbußen auch deutlich höhere Wartungsaufwendungen in Wasserbau und Anlagentechnik, weil die wasserführenden Teile verrosten. Schon getätigte Investitionen können nicht mehr zurückgeführt werden, neue finden nicht mehr statt. Ein hessenweites Mühlensterben ist die Folge. Landschaftsprägende Kulturgüter gehen so unwiederbringlich verloren.

Als Begründung für den Erlass wird eine Erhöhung der ökologischen Qualität der Fließgewässer genannt. Doch genau diese wird so nicht erreicht. Erreicht wird dagegen eine deutliche Verringerung der emissionsfreien Stromerzeugung, was allen Klimaschutzbemühungen zuwiderläuft.

Zudem wird gerade in den durch den Klimawandel bedingten Trocken- und Starkregenzeiten durch die Aufstauungen der Kleinwasserkraft das Wasser in den Oberläufen der Gewässer zurückgehalten, was Überschwemmungen und Dürreschäden lindert. Das Abschalten von Kleinwasserkraft verschärft die jetzt schon gravierenden Auswirkungen des Klimawandels.

Vor dem Abschalten stehen wegen der rigorosen Politik der Landesregierung viele der zurzeit 621 Wasserkraftanlagen in Hessen mit einer Energieerzeugung von 425 Gigawattstunden pro Jahr. Das sind fünf bis sieben Prozent des Ökostroms und etwa drei Prozent der gesamten Stromproduktion in Hessen. Völlig unverständlich wird diese Maßnahme, da Hessen rund 55 Prozent seines Bruttostrombedarfs aus anderen Bundesländern beziehungsweise dem Ausland beziehen muss, meist Kohle- und Atomstrom.

Die Minderung der CO2-freien Stromproduktion beträgt bei Vollzug des Erlasses hessenweit bis zu 113 Gigawattstunden pro Jahr – so viel, wie die Privathaushalte einer Stadt wie Gießen verbrauchen. Dabei ist Wasserkraftstrom bedeutsam für die Netzstützung, da er das ganze Jahr über vorhanden ist. Die Mühlgräben werden schon im Laufe von einigen Jahren verlanden und wertvolle Rückzugshabitate für den Fischbestand werden verlorengehen.

Professor Markus Zdrallek vom Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal schreibt kleinen Wasserkraftanlagen eine erhebliche ausgleichende Wirkung im Stromnetz zu: „Kleine Wasserkraftwerke werden als über die Lebensdauer kostengünstiger und verlässlicher Energieträger in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen. Sie reduzieren sowohl den Netzausbaubedarf auf Verteilnetzebene – gerade in den ländlichen Mittel- und Niederspannungsnetzen – als auch die Netzverluste erheblich.“

Auch die Hauptbegründung des hessischen Umweltministeriums, der Fischschutz, wird von Wissenschaftlern widerlegt. So schreiben Professor Stephan Theobald und Klaus Träbing von der Universität Kassel: „Gemäß den vom Land Hessen veröffentlichten Daten zeigt sich, dass die fischbezogenen Ziele der Wasserrahmenrichtlinie trotz Unterbrechungen der Durchgängigkeit durch Wehre und andere Wanderhindernisse in hessischen Gewässern der Forellen- und Äschenregion erreicht werden können.“

Die Gewässerökologin Annett Arndt, Leiterin eines Umweltbüros und Privatdozentin an der TU Bergakademie Freiberg, stellt fest: „Naturnahe Mühlgräben stellen erhaltenswerte Biotope … für schutzwürdige Tiere dar.“ Ihre Forschungen in Sachsen bestätigten das Potenzial naturnaher Mühlgräben.

In anderen Bundesländern wird die Wasserrahmenrichtlinie nicht in einem solchen Übermaß umgesetzt. Angeraten ist eine Politik mit Augenmaß, die einerseits den Weiterbetrieb der Wasserkraftanlagen ermöglicht und andererseits den ökologischen Zustand unserer Gewässer verbessert. Beides ist möglich – die Wasserkraft muss bleiben.

Hans-Josef Fell saß von 1998 bis 2013 für die Grünen im Bundestag. 
Manfred Hempe betreibt eine alte Wassermühle. Er ist Sprecher der Interessengemeinschaft Wasserkraft im Biosphärenreservat Rhön und im Landkreis Fulda.

 

Hammelburg, 09. Juni 2020

Ihr Hans-Josef Fell