Die Merit-Order, das verkorkste Energiesystem in Deutschland und die untauglichen Versuche von Union und SPD, es zu korrigieren

Die Zwischenergebnisse der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD sind durchgesickert. Tagesspiegel Background berichtete.

In ihrer Gesamtheit bedeuten die bisherigen Verhandlungsergebnisse einen Rückschritt für Klimaschutz und Energiewende.

Einzelne Zwischenergebnisse der bisherigen Verhandlungen (Stand 24.3.25):

Es gibt zwar einige positive Ansätze im Verhandlungstext:

  • Wirtschaft und Verbraucher sollen stärker an der Energiewende mitwirken – unter anderem durch Entbürokratisierung, Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing
  • Alle Potenziale der Erneuerbaren Energien sollen genutzt werden. Dazu gehören Sonnen- und Windenergie sowie Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft, aber auch innovative Technologien wie Abwasserwärme, Wärmerückgewinnung und Flugwindkraft/Höhenwindenergie.
  • Der Ausbau systemdienlicher Speicherkapazitäten und die systemdienliche Nutzung von E-Auto- und Heimspeichern sollen verstärkt vorangetrieben werden, bidirektionales Laden sowie das Laden am Arbeitsplatz unterstützt werden.

Dennoch wird die sich abzeichnende Politik den zwingend notwendigen Aufbau einer sauberen Klimaschutzindustrie in Deutschland weiter ausbremsen und am Ende der chinesischen sauberen Industrierevolution alleine die globale Vorherrschaft überlassen, da die USA unter Trump Klimaschutztechnologien massiv behindern.

Wesentliche kontraproduktive Punkte sind aber:

  • Wasserstoffnetze sollen noch stärker als geplant ausgebaut werden – auch für klimaschädlichen Wasserstoff aus Erdgas.
  • CCS soll per Gesetz erlaubt werden.
  • Dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) droht weiterhin die Abschaffung.
  • Nach dem Willen der Union sollen kleine modulare Atomreaktoren und Kernfusion eine Erhöhung der Forschungsmittel erhalten und geprüft werden, ob die letzten drei Atomkraftwerke wieder in Betrieb genommen werden können.
  • Der Kohleausstieg soll bis 2038 verlängert werden.
  • 20 Gigawatt neue Erdgaskraftwerke sollen gebaut und die Erdgasförderung in Deutschland erlaubt werden.
  • Die Stromsteuer soll gesenkt, das kürzlich eingeführte Solarspitzengesetz überprüft und die Netzgebühren gedeckelt werden.

Die letzten Punkte sind verzweifelte, aber untaugliche Versuche, das verkorkste Strommarktsystem in Deutschland in ein vernünftiges Design zu bringen. Sie werden im Wesentlichen nur die Schuldenberge weiter wachsen lassen.

Wie die eigentlichen Probleme des Strommarkts aussehen und welche Lösungen sinnvoll wären, habe ich kürzlich in einem Artikel für die Unabhängige Bauernstimme beschrieben, veröffentlicht in der Märzausgabe 2025.

Lesen Sie hier den Beitrag in Gänze:


Energiepreise und die Merit Order

Oder: Das verkorkste Energiesystem in Deutschland  

Die Energiepreise sind in Deutschland zu hoch“ so das seit Jahren gleichbleibende Narrativ der Wirtschaft in Deutschland. Dabei beharren die meisten dieser Wirtschaftsvertreter immer noch im Wesentlichen auf den teuren Energielieferungen fossiler Rohstoffe (Erdöl, Erdgas, Kohle), die vielfach aus undemokratischen, korrupten und oft mit diesen Einnahmen Kriege führenden Ländern bezogen werden. Dabei ist heute klar, wer einmal auf Erneuerbare Energien umgestellt hat, muss keine Rechnungen mehr für Primärenergie aus Solarstrahlen, Wind, Wasser, Geothermie bezahlen, da die Natur uns diese kostenlos liefert. Nur für Bioenergie müssen die Betriebsaufwendungen für die Landwirte bezahlt werden. Dies erhöht aber die heimische landwirtschaftliche Wertschöpfung. Weder und wird damit teilweise Terror in arabischen Staaten finanziert, z.B. der Hamas noch Russlands Ukrainekrieg.

Ökostrom ist billiger

Heute schon ist Ökostromerzeugung wesentlich billiger, selbst zusammen mit Speichern als Strom aus Erdgas, Kohle und vor allem Atomkraft. Der französische Rechnungshof hat Anfang 2025 Präsident Macron davor gewarnt, neue Atomkraftwerke zu bauen, da die Atomkraft viel zu teuer ist. So erzeugt das neue Atomkraftwerk Flamanville 3 mit etwa 17 Cent/kWh den Strom. Nach der US Investmentbank Lazard kostet Strom aus Erdgas in der Spitzenlast etwa 11 bis 23 Cent/kWh; Kohle 7 bis 17 Cent/kWh; Wind mit Speicher 5 bis 13 Cent/kWh; große Solarparks mit Speicher 6 bis 21 Cent/kWh. Heimische Energie aus 100% Erneuerbaren kann also zu den ersehnten niedrigen Energiepreisen führen, die sich viele wünschen. Dass wir noch nicht soweit sind, liegt unter anderem an den politisch verordneten massiven Ausbaueinbrüchen unter 16 Jahren Merkel- Regierungen. Wäre der Solarstrom weiter exponentiell so stark gewachsen, wie bis etwa 2012 und der Windstrom so wie bis 2017, wäre Deutschland heute längst bei 100% Ökostrom. Warum ist aber dann Strom in Deutschland gefühlt so teuer? Das hat viele Gründe: die vielen Nebenkosten, wie die Stromsteuer, die Konzessionsabgabe, die KWK-Umlage und einige mehr. Vor allem die rasant steigenden Netzgebühren belasten die Strompreise stark. Hauptursache ist aber ein verfehltes Strommarktdesign, wonach das teuerste Kraftwerk, das gerade noch ins Netz einspeist, den Strompreis für alle Kunden an der Strombörse bestimmt. Die ständig steigenden Netzgebühren gelten als eine der Hauptursache für die hohen Strompreise, weil mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien auch ein starker Nord-Süd-Netzausbau als unverzichtbar angesehen wird. Doch genau diese These ist falsch. Der Windstromüberschuss aus dem Norden Deutschlands muss doch nur deshalb in den Süden mit teuren Hochspannungsleitungen transportiert werden, weil der Windenergieausbau im Süden politisch, z.B. über die bayrische 10H Regelung in den letzten 10 Jahren, weitgehend verhindert wurde. Bayern hat auf Grund seiner großen Landesfläche das größte Windkraftpotential aller Bundesländer. Der Windstromausbau wird aber von der CSU-Politik bis heute stark behindert. Die Erneuerbaren Energien aber haben einen dezentralen Charakter, sie können und sollten ganz anders als konventionelle Kraftwerke verbrauchernah ausgebaut werden: die Solaranlage auf dem Hausdach oder im Bürgerenergiepark vor Ort, der örtliche Windpark, alles zusammen mit danebenstehenden Speichern, die örtliche Wasserkraft und die örtliche Biogasanlage, die gleichzeitig auch die Nahwärme liefern kann und soll. So ausgebaut, würden viele der teuren Hochspannungsleitungen überflüssig und die Netzgebühren niedriger.

Unsinn der Merit Order

Nun wird aber der meiste Strom, der erneuerbar erzeugt wird, nicht direkt vor Ort verbraucht, sondern meist an der Börse verkauft, wo das Prinzip der Merit Order den Strompreis bestimmt. Das bedeutet, dass das teuerste Kraftwerk (Erdgaskraftwerke) den Preis für den gesamten Strom bestimmt, der an der Börse gehandelt wird. Dieses Prinzip ist der Strompreistreiber schlechthin und bewirkt, dass trotz steigendendem Anteil des billigeren Ökostroms der Strompreis an der Strombörse hoch bleibt. Zudem manipulieren große Stromkonzerne mit gezielten Abschaltungen bestimmter Kraftwerke, um so den Strompreis für ihre Gewinnmaximierung zu erhöhen. Dazu laufen aktuell Verfahren wegen krimineller Manipulationen z.B. bei der Bundenetzagentur. Die Börsenstrompreise sind also vor allem abhängig von teuren Erdgaspreisen, der Merit Order, Manipulationen und dem Übertragungsnetzausbau. Wenn Erdgaspreise steigen, so steigt der Strompreis und wenn die Konzerne manipulieren, steigt er noch höher. Die Erdgaskraftwerke werden vor allem dann zugeschaltet, wenn Solar- und Windenergie schwach sind, also z.B. in den sogenannten Dunkelflautenzeiten.

Erneuerbare und Speicher regional

Da taucht doch die Frage auf, ob man die notwendigen Flexibilitäten nicht kostengünstiger und klimaschützend eben ohne Erdgaskraftwerke bekommen könnte. Das geht sehr wohl. Die Ampel-Bundesregierung wollte 10 Gigawatt neue Erdgaskraftwerke ausschreiben. Dabei könnte man alleine mit der Flexibilisierung von bestehenden Biogaskraftwerken und einem Neubau über 10 Gigawatt Flexibilitäten wesentlich kostengünstiger erzeugen. Zudem kann der naturverträgliche Ausbau der Wasserkraft Flexibilitäten von über 3 Gigawatt zusteuern, ebenso der Speicherbau mit Batterien, Pumpspeicher, Wärmespeicher und anderen Speichertypen. Die größte Speicherkapazität sollten aber E-Mobile liefern, deren Batterien eh schon mit dem Autokauf bezahlt sind. Man muss nur endlich netzdienliche bidirektionale Lademöglichkeit als Geschäftsfeld eröffnen. Die offensive Umsetzung all dieser Möglichkeiten würde die teuren Erdgaskraftwerke als Grenzkostenkraftwerke in der Merit Order überflüssig machen und auch die Kohlekraftwerke abschalten, Atomkraft ist dafür nicht nötig. Damit würde dann endlich der Strompreis sinken, weil teures Erdgas nicht mehr den Strompreis für alle bestimmt.

Was können wir alle tun?

Warten Sie nicht nur auf Gesetzesänderungen. Bauen Sie dezentrale kombinierte Erneuerbare Energien und Speicher, die Ihnen Strom und Wärme aus der Region für die Region liefern. Nutzen Sie diesen Strom maximal für den Eigenbedarf, und vermarkten sie den Überschuss direkt, möglichst nicht über die Börse sondern an regionale Kunden mit sogenannten PPA-Verträgen. Dann haben Sie verlässliche, kostengünstige Strompreise, unabhängig vom teuren klimaschädlichen Erdgas und der Merit Order, und wir kommen schnell zu 100% Erneuerbare Energien, was entscheidend für den Klimaschutz ist.

Hans-Josef Fell, von 1998 – 2013 Mitglied des Bundestags für Bündnis 90/Die Grünen, entwarf das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG), heute Präsident der Energy Watch Group