Heimische Tiefengeothermie könnte 60 % der russischen Erdgasimporte ersetzen und gleichzeitig Lithium liefern.

Heimische Tiefengeothermie könnte 60 % der russischen Erdgasimporte ersetzen und gleichzeitig Lithium liefern.

 

Liebe Leser*innen,

 

die Ablösung der russischen Energielieferungen, der Klimaschutz in der aktuellen europäischen Hitze und die Angst vor einem Stopp der russischen Erdgaslieferungen beherrschen die Schlagzeilen. Die Bundesregierung betont, dazu auch den Ausbau der Erneuerbaren Energien stärker unterstützen zu wollen. Doch offensichtlich betrifft dies nur die starken Säulen Solar und Wind. Die großen Potentiale der anderen Erneuerbaren Energien – Geothermie, Wasserkraft, Bioenergie – will die Ampelkoalition offensichtlich nicht ausbauen.

 

Erst vor kurzem diskutierte die Bundesregierung über die Abschaffung von substanziellen Teilbereichen heimischer Erneuerbarer Energien wie der Kleinwasserkraft und Bioenergie. Dabei hat sie mit der Rettung der kleinen Wasserkraftim aktuell verabschiedeten EEG teils anerkannt, dass diese für die Energiewende und den notwendigen Ausstieg aus russischen Energielieferungen unverzichtbar ist, wie zuvor die Studie der Energy Watch Group (EWG) zeigte.

 

Doch eine Offensive für den Ausbau von Geothermie, Bioenergie und Wasserkraft wird im gerade verabschiedeten neuen EEG nicht sichtbar. Die gerade mit großer Mehrheit als BEE-Präsidentin wieder gewählte Präsidentin Dr. Simone Peter beklagte in ihrer Rede auf dem Sommerempfang des BEE am 6. Juli 2022, dass auch die Geothermie neben Bioenergie und Wasserkraft keine Ausbauperspektive bekommen habe.

Sträflich vernachlässigt also die Ampelkoalition diese Arten der Erneuerbaren Energien, was letztendlich dazu führt, dass sie stark auf klimaschädliche fossile Energie, wie LNG zurückgreift.

 

Es wird Zeit, dass die Ampelkoalition auch das große Potential der Tiefengeothermie in Deutschland für ein klimaschützendes 100% erneuerbares Energiesystem und die Regionalisierung unserer Lieferketten berücksichtigt.

Denn insbesondere im Wärmesektor, in dem der größte Anteil an fossilen Erdgasimporten verbraucht wird, bedarf es dringend alternativer heimischer Wärmeerzeugungsoptionen.

 

Dabei ist die Erkenntnis, dass die Tiefengeothermie große Energiepotentiale liefern könnte, nicht neu. Schon im Oktober 2003 legte das Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) auf meine Initiative als Berichterstatter dem Bundestag einen umfassenden Bericht vor, wonach die Potentiale der Tiefenerdwärme für Strom und Wärme sehr groß sind.
Vor allem die Stadtwerke München setzen seit längerem stark auf den Ausbau der Geothermie.
Doch insgesamt lässt die politische Unterstützung vor allem auf Bundesebene sehr zu wünschen übrig.

Dass die Geothermie endlich politische Unterstützung erhalten muss, zeigt nun das neuste White Paper der CleanTech-Beratung DWR eco. Demnach sind die Potentiale der tiefen Geothermie gewaltig: Mit Tiefengeothermie könnten mehr als ein Viertel des deutschen Wärmebedarfs gedeckt und so 60% der Erdgasimporte aus Russland mittelfristig ersetzt werden.

 

Durch die Nutzung der bestehenden Potenziale der Tiefengeothermie im Wärmesektor, der noch immer für hohe Treibhausgasemissionen verantwortlich und im Gegensatz zum Stromsektor bisher nur marginal von Erneuerbaren Energien durchdrungen ist, können laut DWR eco jährlich 41 Mio. Tonnen CO₂ eingespart werden.

 

Zudem ergeben sich durch die Förderung von Tiefengeothermie Preisstabilität und Investitionssicherheit. Mehr denn je offenbart die aktuelle Energiekrise unsere starke fossile Abhängigkeit von Russland, die die Energieversorgung von Haushalten und Industrie zunehmend unplanbar und unbezahlbar werden lässt. Seit Monaten befinden sich die Erdgaspreise auf einem Allzeithoch, die Preise für Erdgas auf den Großhandelsmärkten liegen teilweise zwischen 80-100 €/MWh. Genau diese nicht beherrschbaren Preis- und Versorgungsrisiken stellen auch ein enormes Risiko für die Zukunftssicherheit des Wirtschaftsstandorts Deutschland dar. Die Preise für erneuerbare Energien hingegen sinken seit Jahren, und liegen bereits seit 2021 deutlich unter jenen der fossilen Energien, wie eine im Herbst 2021 veröffentlichte Studie der EWG zeigte.

 

Mit der Nutzung der Tiefenerdwärme kann aber noch mehr als klimaschützende heimische Wärme und Strom gewonnen werden. Insbesondere aus den heißen Aquiferen des Oberrheingrabens können zusammen mit der Energie auch große Mengen Lithium gefördert werden – ein wesentlicher Grundstoff für die Batterieproduktion.

 

Spricht man über die Abhängigkeit von Rohstoffimporten, gilt es neben Deutschlands massiver fossiler Abhängigkeit von Russland eben auch, die auf uns zukommenden, neuen Abhängigkeiten von Rohstoffen der Energiewende in den Blick zu nehmen. Denn der Umstieg auf die Elektromobilität wird den Bedarf an Rohstoffen substanziell erhöhen. Für die Batterieproduktion bedarf es kritischer Rohstoffe, allen voran Lithium, dessen Vorkommen geographisch auf nur wenige Länder konzentriert ist. So finden sich 97 % des aufbereiteten Lithiums in nur drei Ländern und allein China produziert 60 % des batteriefähigen Lithiums.

 

Um nicht direkt die nächste Rohstoffabhängigkeit zu manifestieren, muss nun unsere heimische Lithiumförderung konsequent ausgebaut werden. Auch hier ist das Potential Deutschlands beachtlich: Der Oberrheingraben verfügt über das größte Lithiumvorkommen Europas und eines der größten weltweit. Erste Unternehmen haben bereits Lösungen entwickelt, CO2-neutrale Strom- und Wärmegewinnung für die Lithiumproduktion nutzbar zu machen.

Damit diese Vorteile der tiefen Geothermie in Deutschland fruchten, müssen Regierung und Parlament im Sommerpaket nun handeln und den Marktzugang für Geothermie-Projekte erleichtern und die derzeit bestehenden Investitionsbarrieren abbauen. Gleichzeitig muss die Geothermie als fester Bestandteil im Wärmemix etabliert, und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu anderen erneuerbaren Energiequellen hergestellt werden. Die entsprechenden konkreten angebots- und nachfrageseitigen Maßnahmen werden im White Paper detailliert ausgeführt.

Klar ist, dass es jetzt einen schnellen Ausstieg aus russischen Energielieferungen braucht. Vor dem Hintergrund, dass 60 % des deutschen Primärenergiebedarfs immer noch durch Erdgas und -öl abgedeckt werden – wobei jeweils nur ein Bruchteil von 2 Prozent Erdöl und 5 Prozent Erdgas inländisch produziert werden – müssen die Potentiale der Tiefengeothermie jetzt nach oben auf die politische Agenda rücken.

 

Das White Paper finden Sie hier, und die entsprechende Zusammenfassung können Sie hier abrufen.

 

 

Hammelburg, 15. Juli, 2022

Ihr Hans-Josef Fell