Ukraine am Scheideweg zwischen Wohlstand mit Erneuerbaren Energien und Beharren im Korruptionssumpf der Energie-Oligarchen

Liebe Leserinnen und Leser,

Ukraine am Scheideweg zwischen Wohlstand mit Erneuerbaren Energien und Beharren im Korruptionssumpf der Energie-Oligarchen.

Die Wahl des Komikers Selenskyj zum neuen Präsidenten der Ukraine hat vor allem die Sehnsucht vieler junger UkrainerInnen nach einem wirklichen Wechsel gezeigt. Das Volk möchte eine Politik, die endlich Grundlagen schafft, um aus den großen und kaum mehr ertragbaren Schwierigkeiten des Landes herauszukommen: Krieg im Osten, Korruption, Armut, Arbeitslosigkeit, Niedergang der Infrastruktur, Krankheiten durch Luftverschmutzung und Radioaktivtät und immer mehr begreifen, dass der Klimaschutz auch für die Ukraine existenziell ist.

Auf dem 2. Internationalen Forum für Ökonomie und Menschlichkeit in Kaniv, südlich von Kiew kamen letzte Woche viele engagierte Menschen aus der Ukraine und dem Ausland zusammen, um über neue Wege in der ukrainischen Politik und für die ukrainische Gesellschaft zu reden.

In meinen Redebeiträgen und Interviews im ukrainischen Fernsehen stellte ich die Umstellung der Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien als wichtigste Säule dar, um in der Ukraine Wohlstand, Energieunabhängigkeit – und damit politische Unabhängigkeit –, ökonomisches Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Luft, Wasser und Böden zu säubern, sowie Klimaschutz zu erreichen.

Allerdings muss dabei der Ausbau vor allem dezentral erfolgen. Ansonsten werden die Oligarchen auch dieses neue Geschäftsfeld wieder unter sich aufteilen und die obigen Ziele geraten in weite Ferne. Denn diese schützen mit ihrer Macht weiterhin ihre Geschäfte mit Atomstrom, Kohle, Erdöl und Erdgas und werden den Ausbau der Erneuerbare Energien nur auf niedrigem Niveau zulassen. In meinen Vorträgen habe ich dargestellt, wie in Deutschland viele ländliche Regionen mit Hilfe des EEG, Wohlstand gewinnen konnten. So wie z.B. der Landkreis Rhein-Hunsrück, der heute weitestgehend schuldenfrei ist und anders als noch 1995 statt 290 Mio. Euro jährlich in den Energieeinkauf von Erdöl, Erdgas, sowie Kohle- und Atomstrom zu stecken, heute sogar einen Gewinn von 44 Mio. Euro aus dem Betrieb von Anlagen mit Erneuerbaren Energien macht.

Im Zentrum einer neuen Energiepolitik muss daher ein neues, modernes EEG stehen, welches allen UkrainerInnen eine Teilhabe ermöglicht: Privatleuten, Landwirten, Genossenschaften und eine neue Gründungskultur für kleine und mittlere Unternehmen, sowie kleine Banken befördert.

Als eine der letzten Amtshandlungen hatte der abgewählte Präsident Poroschenko ein hochumstrittenes neues Erneuerbare-Energien-Gesetz unterschrieben und in Kraft treten lassen. Damit zeigte er am Ende nochmal sein altes Gesicht als Teil und Unterstützer der ukrainischen Oligarchen. Denn dieses Gesetz hat viele Elemente, die ausschließlich das Investment der Oligarchen ermöglicht, insbesondere die Umstellung von Einspeisevergütung auf Ausschreibungen nach dem verheerenden deutschen Vorbild. Sogar ein Verbot des Baus von privaten Solaranlagen in im eigenen Garten wurde im Gesetz verankert. Meine Warnungen in den Anhörungen zu diesem Gesetz im ukrainischen Parlament haben womöglich sogar dazu geführt, dass die Oligarchen wussten, wie sie die Abgeordneten beeinflussen können, um ihre Interessen zu sichern.

Nun ist es Aufgabe des neuen Präsidenten, nach der Wahl des neuen Parlamentes im Juli mit neuen Mehrheiten dieses Gesetz wieder abzuräumen und statt dessen ein modernes Erneuerbare Energien Gesetz mit grünen Tarifen, statt Ausschreibungen zu schaffen, die ähnlich wie im Hunsrück weiten Teilen der Bevölkerung, z.B. mit genossenschaftlichem Engagement neuen Wohlstand bringen kann, zusätzlich zum dringend notwendigen Atomausstieg und wirklichem Klimaschutz für die Ukraine.

Mit den engsten Beratern des Präsidenten Selenskyj habe ich dazu in Kiew Gespräche geführt und meine Hilfe bei der Formulierung des Gesetzes angeboten. Insbesondere schlug ich vor, Gelder der EU, die für den Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung in der Ukraine zur Verfügung stehen, nach dem Vorbild von GET FIT, z.B. in Uganda, zu verwenden.

Diese EU Funds können in die Finanzierung der Ukrainischen EEG-Umlage fließen, damit keine sozialen Spannungen durch Strompreiserhöhungen hervorgerufen werden. Die Ukraine verdient unser aller Aufmerksamkeit und Engagement, denn sie ist geopolitisch außerordentlich bedeutend in den machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten Russland und China auf der einen, den USA und der EU auf der anderen Seite. Und wenn in der Ukraine wieder eines der alten maroden Atomkraftwerke in der Ukraine einen Supergau verursacht, dann haben auch wir in Deutschland die größten Probleme, so wie 1987 nach Tschernobyl. Eine Umstellung der Ukraine auf 100% Erneuerbare Energien kann also nur in unser aller Interesse sein.

Hammelburg, 11. Juni 2019

Ihr Hans-Josef Fell