Schon wieder eine Hochwasserkatastrophe – doch Kanzler Scholz sieht keinen Anlass, die vielen Gerichtsurteile für mehr Klimaschutz umzusetzen

Verschiedene Gerichtsurteile sprechen eine klare Sprache: Die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung ist unzulänglich.

Ein weitreichendes Urteil hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg kürzlich gefällt. Die Botschaft: Die Klimaschutzpolitik der Ampel-Regierung ist mangelhaft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen, um das selbst gesteckte Ziel von 65 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 zu erreichen. Quelle

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte im April, dass Klimaschutz ein Menschenrecht sei, und verurteilte die Schweiz zu mehr Klimaschutz. Quelle

Nicht anders als die Schweiz handeln auch Deutschland und die EU im Klimaschutzsektor unzulänglich.

Auch der Internationale Seegerichtshof in Hamburg veröffentlichte vor wenigen Tagen eine sehr weitreichende Stellungnahme. Der Gerichtshof hat einstimmig festgestellt, dass:

  • Staaten verpflichtet sind, ihre Emissionen zu reduzieren, um die Ozeane zu schützen.
  • Staatliche Klimaschutzmaßnahmen möglicherweise über das Pariser Klimaschutzabkommen hinausgehen müssen, um der rechtlichen Pflicht des Meeresschutzes nachzukommen.
  • Staaten mit der größten historischen Verantwortung für die Klimakrise mehr tun müssen, um die Meeresverschmutzung durch Treibhausgasemissionen zu bekämpfen. Quelle

Schon im April 2021 beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung nicht ausreichend sei. Quelle

Die Rechtslage ist erdrückend: Gerichtsurteile häufen sich, die Regierungen verpflichten, Klimaschutz umzusetzen, dies aber nicht ausreichend tun.

Erdaufheizung: Jahrhunderthochwässer kommen jetzt öfter in einem Jahrhundert vor

Nun sollte man erwarten dürfen, dass angesichts von heimsuchenden Katastrophen, wie Hochwasserfluten, ein Bundeskanzler diese Gerichtsurteile ernst nimmt und seine politischen Anstrengungen für mehr Klimaschutz verstärkt.

Doch obwohl sich die Jahrhundertwässer in Deutschland häufen, ist bei Kanzler Scholz nicht zu sehen, dass er der Menschheitsbedrohung durch die Erdaufheizung den angemessenen politischen Raum einräumt.

Am 4. Advent 1993 gab es im Saarland ein katastrophales „Jahrhunderthochwasser“. Quelle

1947/48 gab es ebenfalls ein Jahrhunderthochwasser an der Saar. Quelle

Aktuell wieder ein Hochwasserereignis, wie es laut Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz alle 20 bis 50 Jahre stattfindet. Quelle

Im nur etwa 150 km Luftlinie entfernten Ahrtal gab es 2021 ein katastrophales Jahrhunderthochwasser, das den Tod von 135 Menschen verursachte. Quelle

Drei Jahrhunderthochwasser in einer Region Deutschlands innerhalb von 70 Jahren: Die Gefahrenlage durch die Klimaaufheizung wird immer bedrohlicher. Ein Jahrhunderthochwasser ist so definiert, dass es statistisch nur einmal in einhundert Jahren vorkommt.

Dabei sind die für die Betroffenen sehr schlimmen Überschwemmungen in Deutschland noch vergleichsweise glimpflich gegenüber anderen Überschwemmungskatastrophen in der Welt. Im südlichen Brasilien sind nun schon seit über zwei Wochen weite Gebiete und Großstädte überschwemmt. Es gibt etwa 150 Tote und eine halbe Million Menschen kann nicht mehr zuhause wohnen. Die wirtschaftlichen Schäden sind massiv, so wird der Verlust von 5 Millionen Tonnen Sojaernte befürchtet. Quelle

In Afghanistan forderten aktuelle Fluten bereits 420 Tote. Weite Teile der Infrastruktur, wie Brücken und große Teile der Ernten, sind in dem von der Terrororganisation Taliban unterdrückten Land zerstört. Quelle

In der chinesischen Provinz Guandong gab es Ende April die schlimmsten Regenfluten seit 50 Jahren. Quelle

Klimaforscher sagten solche Katastrophen schon lange voraus, aber Kanzler Scholz sieht keine Dringlichkeit für die Verstärkung von Klimaschutzmaßnahmen

Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung kritisierte angesichts des Hochwassers im Saarland: Wer Warnungen der Klimaforscher jahrzehntelang nicht ernst nehme und Klimaschutzmaßnahmen verschleppe, „darf sich dann nicht über Hochwasser wundern“. Dagegen bleibt Kanzler Scholz bei seinem Besuch der Hochwasserregion im Saarland erschreckend vage: Aktuell stehe die akute Hochwasserhilfe im Vordergrund, danach werde es weiter „darum gehen, dass man verabredet, was man tun kann“, sagte Scholz – ohne konkret zu werden. Hier könnten sich „alle darauf verlassen, dass das im besten Sinne geschieht“. Quelle

Kein Wort von Scholz, dass man die zunehmenden Bedrohungen und Schäden der sich rasant aufheizenden Erde ernst nehmen und alles tun müsse, um den Klimaschutz endlich in den Mittelpunkt einer vorsorgenden Politik zu stellen. Keine Reflexion darüber, dass die staatlichen Mittel angesichts der stark zunehmenden Schäden durch Extremwetterereignisse immer weniger in der Lage sein werden, den Betroffenen ausreichend Hilfe zu leisten.

Schon beim Gespräch von Kanzler Scholz mit den Hungerstreikenden der Letzten Generation am 12. November 2021 in Berlin hatte sich Scholz trotz mehrfacher Aufforderung konsequent geweigert, eine Klimanotlage für die Weltgemeinschaft anzuerkennen. Ich war damals dabei und konnte über diese Ignoranz nur unverständlich den Kopf schütteln.

Deutsche und EU-Politik verschlechtern aktuell viele Klimaschutzmaßnahmen

Da der Kanzler also keine Klimanotlage anerkennt, ist es für ihn auch konsequente Politik, Klimaschutzpolitik nicht in den Vordergrund zu rücken. Jedenfalls haben die Ampelkoalition und die Europäische Union in jüngster Zeit die eh schon viel zu schwachen Klimaschutzmaßnahmen weiter abgeschwächt, obwohl Gerichte sie zum Verschärfen aufgefordert haben.

So wurde gerade im Bundesrat das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung endgültig verabschiedet, welches die Sektorenziele der einzelnen Ressorts abschafft und damit den Druck von unwilligen Ministern, wie Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) oder Bauministerin Klara Geywitz (SPD), nimmt, endlich auch im bisher komplett versagenden Verkehrs- oder Bausektor wirksamen Klimaschutz zu schaffen.

Das EU-Parlament hat gerade Reformen der EU-Agrarpolitik im Sinne des Bauernverbandes verabschiedet, wonach unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus weitreichende Verschlechterungen des Klimaschutzes durchgeboxt wurden. Marco Contiero, Direktor für EU-Agrarpolitik bei Greenpeace, sagte dazu, dass „diese Abstimmung den letzten Rest an Glaubwürdigkeit zerstört, dass die EU-Agrarpolitik die Umwelt und das öffentliche Interesse schützt“. Quelle

Ungleiche Behandlung: Ziviler Ungehorsam von Bauern und Letzter Generation

Der Beschluss im EU-Parlament kam außergewöhnlich schnell zustande und ist auf Druck des Bauernverbandes entstanden, der europaweit heftige Bauernproteste und teilweise rechtswidrige Straßenblockaden organisierte. Quelle

Offensichtlich gibt es zweierlei Rechtsmaß in Deutschland und der EU. Wenn Teile der Bauern in ihren Protestaktionen gegen Gesetze verstoßen (ziviler Ungehorsam), dann erhalten sie hinterher Gesetzesänderungen, die sie forderten, die aber Gemeinwohlinteressen wie Umwelt- und Klimaschutz massiv behindern.

Wenn junge Klimaaktivisten mit zivilem Ungehorsam auf die Klimanotlage aufmerksam machen – die ja von vielen Gerichten bestätigt wurde – dann werden sie bestraft und sogar ins Gefängnis gesteckt. Viele Politiker beschimpfen sie sogar übelst, statt dass sie den Gerichtsurteilen und dem Grundgesetz entsprechend die Klimagesetze so verbessern, dass endlich wirksamer Klimaschutz kommen kann.

Beispielhaft ist hierbei die Äußerung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur jüngsten Blockade der Letzten Generation am Flughafen München. „Die Täter müssen konsequent verfolgt werden, die Schutzmaßnahmen am Flughafen überprüft werden.“ Nach Einschätzung Faesers würden solche Aktionen dem Klimaschutz schaden, „weil sie nur Unverständnis und Wut hervorrufen“. Quelle

Nancy Faeser meinte damit nicht die vielen Urlaubsflugreisenden, die mit ihren nicht zwingend notwendigen Flügen stark zum Aufheizen des Klimas beitragen und so weiteren und immer schlimmeren Flutkatastrophen Vorschub leisten.

Bei ungesetzlichen Handlungen mancher Bauernprotestierenden habe ich solche Äußerungen von der Innenministerin nicht vernommen.

Welch Verdrehung der Tatsachen: Faesers Politik als Kabinettsmitglied ignoriert Gerichtsurteile, die die Bundesregierung längst zu mehr Klimaschutz verurteilten. Damit schädigt sie selbst persönlich und gesetzeswidrig weiter das irdische Klima und hält sich nicht an Gerichtsurteile und das Bundesverfassungsgericht. Der zivile Ungehorsam der Letzten Generation dagegen schädigt nirgends das Klima, wird von ihr aber kritisiert und verfolgt.

Und das alles, während uns doch die aktuellen Katastrophenfluten im Saarland, in Brasilien, in Afghanistan wieder in aller Brutalität vor Augen führen, wie schnell die Erdaufheizung immer mehr Regionen ins Unglück stürzt.

Wann werden endlich PolitikerInnen, die Klimaschutzgesetze verschlechtern statt verbessern, als „Täter konsequent verfolgt“? Klimaschutz ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ja nicht irgendein nebensächliches Feld, sondern ein Menschenrecht.