„Verschieben ist keine Option“ / Mein Interview in der FR

Zur aktuellen Debatte um Habecks Heizungsgesetz und 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 mein Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 21.5.23


Der Energieexperte Hans-Josef Fell über Habecks Heizungsgesetz und 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 / Ein Interview von Joachim Wille

Herr Fell, Heizungsstreit, Graichen-Affäre, überdimensionierte Flüssiggas-Pläne – die Ampel-Bundesregierung liefert bei der Energiewende ein miserables Bild ab. Wie konnte das passieren? Es handelt sich doch um eine der wichtigsten Aufgaben der Koalition.

Die Ampelpartner sind sehr unterschiedlich. In der FDP opponieren weite Teile gegen fast alle Klimaschutzmaßnahmen, in der SPD gibt es immer noch Unterstützer der Kohle, gerade sie hat in den vergangenen Jahren zusammen mit der Union die Abhängigkeit von russischem Erdgas vorangetrieben, und bei den Grünen sehen weite Teile notwendige Klimaschutzmaßnahmen als Kern ihrer politischen Agenda. Bei dieser heterogenen Konstellation ist es schwer für eine einheitliche Klimaschutzpolitik, wie sie angesichts der zunehmenden Klimakatastrophen zwingend erforderlich wäre.

Aber der Grünen-Minister Habeck hat die Sprengkraft des Heizungsthemas völlig unterschätzt…

Es ist zumindest ungeschickt angekündigt worden. In den letzten Monaten haben doch viele Menschen Angst vor der ins Haus flatternden Heizungsrechnung. Erdgas und Erdöl sind teuer geworden. Zudem haben Springer-Medien, Union und FDP regelrecht gegen die Erneuerbaren-Heizungen gehetzt – mit polemischen und falschen Aussagen. So wie der FDP Abgeordnete Frank Schäffler, der sogar von einem „Heizungsverbot“ sprach. Er ist bekannt als Klimawandelleugner, da weiß man, woher seine Interessenslage kommt. Das alles hat viele Menschen verunsichert und den Blick für das Sinnvolle verstellt. Dabei befreit ein Tausch der Heizungen hin zu erneuerbaren Energien doch genau aus unbezahlbaren Heizöl- und Heizgaskosten. Oft rechnen sich die Investitionen in einigen Jahren.

FDP und Union fordern, die Gesetzespläne zu verschieben. Ist das nicht sinnvoll?

Die Medien sind täglich voll von Katastrophenmeldungen. Aktuell die ungeheuren Überflutungen in Oberitalien nach drei Jahren Dürre und der internationale Hilferuf der kanadischen Regierung zur Bekämpfung der ausufernden Waldbrände. Immer schneller heizt sich die Erde auf, immer schneller und schlimmer kommen die Katastrophen, weil immer noch Erdgas, Erdöl, Kohle den Löwenanteil unserer Energie liefern. Die Welt braucht zwingend eine Ablösung der fossilen Energien mit Erneuerbaren möglichst bis 2030. Selbst die Staats- und Regierungschefs der G7 haben das erkannt und bekräftigten auf ihrem gerade zu Ende gegangenen Gipfel die gemeinsame Verpflichtung, die CO2-Emissionen bis 2035 um 60 Prozent zu senken und die Stromsysteme in etwas mehr als zehn Jahren emissionsfrei zu machen. Auch wenn die G7-Ziele immer noch unzulänglich sind, so geht selbst deren Umsetzung nicht mit Verschiebungen von Klimaschutzmaßnahmen.

Wie hoch muss die Förderung für neue Heizungen sein?

Die meisten Menschen haben genügend Geldvermögen, um sich eine Heizung mit erneuerbaren Energien zu leisten. Aber Bedürftige brauchen großzügige Umstellungshilfen. Alle profitieren hinterher von niedrigen Heizkosten.

Ist das finanzierbar?

Fragen sie mal die Menschen in Oberitalien oder aber im Ahrtal, wo viele Häuser nach der Sturzflut immer noch nicht vollständig wiederaufgebaut sind, ob es für sie finanzierbar ist, ganze Häuser, ihre Heizungen, Elektrogeräte und Mobiliar neu zu beschaffen. Vorsorge ist viel billiger als fehlender Klimaschutz.

Was ist denn die richtige Lösung für die Wärmewende? Fokus auf die Wärmepumpe? Oder mehr Technologieoffenheit?

Im Prinzip ist schon der Ansatz, wie er aus den Koalitionsverhandlungen auf Druck der FDP folgte, viel zu schwach. Nicht 65 Prozent Anteil erneuerbare Energien in den Heizungen, sondern 100 Prozent sind aus Klimaschutzgründen bis 2030 erforderlich. Dafür braucht es die Offenheit für alle Erneuerbaren-Technologien. Im Zentrum muss der Ausbau von Nah- und Fernwärme stehen, mit hohem Solaranteil, großen saisonalen Wärmespeichern und winterlicher Nutzung der Kraftwärmekopplung etwa mit Biogas und Geothermie. Die Wärmepumpe steht überall als effizienteste Technologie zur Verfügung, großtechnisch, um zum Beispiel Flusswärme oder Abwärme aus Rechenzentren in den Nahwärmenetzen zu nutzen oder auch als Einzelheizung in Häusern. Weitere Optionen sind Holzheizungen, wenn sie beste Feinstaub-Reinigung erfüllen, oder auch hocheffiziente elektrische Infrarotstrahlungsheizung in Fußböden oder Wänden. Immer sollte auch eine kostengünstige Geschoss- und Dachdämmung mitgedacht werden.

Die FDP sieht auch im Heizen mit Wasserstoff eine Option. Sinnvoll oder nicht?

Wenn der Wasserstoff lokal aus Ökostrom erzeugt wird, für den Winter gespeichert wird und dann mit Brennstoffzellen Wärme und Strom Wärme liefert, ist das eine gute Option. Das ist aber noch im Anfangsstadium der Entwicklung. Hier müssen die Kosten in den nächsten Jahren noch deutlich sinken.

Sie fordern, die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien auch im Wärmebereich bereits bis 2030, nicht erst 2045. Ist das überhaupt machbar?

Machbar ist vieles, wenn es die gesamte Gesellschaft es will. Die Pferdekutschen wurden in den USA auch in einem guten Jahrzehnt fast völlig durch Autos ersetzt, was sich niemand vorstellen konnte. Die Frage ist aber weniger die Machbarkeit als die Notwendigkeit. Gerade hat die Weltwetterbehörde WMO in Genf gewarnt, dass die Erde schon 2027 erstmals das 1,5-Grad-Limit überschreiten könnte. Die aktuellen Katastrophen in Italien und Kanada sind nur eine kleine Vorahnung, was schon in den kommenden Jahren auf uns zukommen wird.

Die „Energy Watch Group“, deren Präsident Sie sind, Herr Fell, steht mit der Forderung von 100 Prozent bis 2030 ziemlich alleine da. Andere Öko-Thinktanks, wie „Agora Energiewende“ und das Öko-Institut, sehen längere Fristen vor.

Ja, die meisten Institute richten sich nur nach den unzulänglichen Klimazielen der deutschen Regierung, wie Klimaneutralität bis 2045, was immer noch weitere Emissionen bis 2045 bedeutet. Gleichzeitig behaupten sie auch noch, damit ließen sich 1,5 Grad einhalten, was komplett den Forschungsergebnissen nicht nur der WMO widerspricht. Wir sind mit Klimaneutralität 2045 auf dem klaren Weg in eine unbeherrschbare Heißzeit der Erde, wo wir schon um 2050 keine menschliche Zivilisation wie heute mehr haben werden.

Eine letzte Frage: Was muss der Nachfolger von Staatssekretär Graichen als erstes anpacken?

Er muss vor allem die Bürgerenergien entfesseln, so wie es die EU mit ihrer Richtlinie längst vorschreibt. Dann werden nicht nur Eigenstrom-Erzeugung und -Verbrauch, sondern auch die Heizungen mit ökostrombetriebenen Wärmepumpen und Nahwärmesystemen schnell kommen. Und es braucht ebenso eine Beschleunigung des emissionsfreien Verkehrs.