Buch Beitrag für Hermann Scheer: Der Energetische Imperativ.
Für eine Übersetzung ins Mongolische.
Eigenständiges Kapitel von Hans Josef Fell
100% Erneuerbare Energien sind heute technisch machbar und ökonomisch vorteilhaft.
Hermann Scheer hat in seinem Buch Der Energetische Imperativ in klarer Sprache herausgearbeitet, dass eine weltweite Energieversorgung mit 100 % Erneuerbaren Energien unverzichtbar ist. Heute 10 Jahre nach der Veröffentlichung des Buches zeigt sich, dass der Siegeszug der Erneuerbare Energien weltweit große Fortschritte gemacht hat und nicht mehr aufzuhalten ist. Erneuerbare Energien sind die billigtse Art der Energieerzeugung geworden, weshalb sich schon alleine aus ökonomischen Gründen eine Energieversorgung zu 100% mit Erneuerbare Energien überall auf der Erde früher oder später duchsetzen wird.
Angesichts der Fülle der globalen Probleme der fossilen und atomaren Energieversorgung ist die Notwendigkeit für 100 % Erneuerbare Energien offensichtlich: Die Nutzung der fossilen und atomaren Energieressourcen verursacht die alles überragenden globalen Probleme wie Klimaerhitzung, Krankheiten, Kriege um Ressourcen und auf der einen Seite Armut für große Teile der Bevölkerung sowie auf der anderen Seite obszönen Reichtum für wenige Eliten.
Es gibt keine fossilen Brückentechnologien
Erdgas wird oft als Zwischenlösung für den Umstieg von fossilen Brennstoffen auf Erneuerbare Energien dargestellt. Diese Darstellung beruht jedoch oft auf falschen Annahmen, was die Emissionen von Erdgas betrifft. Zwar stimmt es, dass Erdgas weniger Kohlenstoffdioxid-Emissionen verursacht als zum Beispiel Kohle, jedoch führt es zu immens hohen Emissionen durch Methan, ein sogar 85-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid, welches das Klima ebenfalls exorbitant aufheizt. Zudem bringt Erdgas neue Energieabhängigkeiten mit sich, die in Krisenzeiten schnell zu kriegerischen Spannungen führen können. Hinzu kommt, dass eine so genannte Brückentechnologie, die umweltschädlich ist, in einer Klimakrise wenig sinnvoll ist, da jede Investition in eine Übergangslösung, die in weniger als 10 Jahren nicht mehr genutzt werden kann, zu Stranded Assets führt.
Auch die Atomenergie kann keinen wirksamen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung leisten, da die sie betreffenden Probleme unüberwindbar groß sind. So produzieren Atomkraftwerke wesentlich teureren Strom als Erneuerbare Energien. Der Bau eines Atomkraftwerkes benötigt oftmals über zwei Jahrzehnte, wogegen Solar- und Windenergie gleicher Größenordnung in wenigen Monaten installiert werden können. Die ungelösten Fragen der Atomenergie sind weiterhin die Entsorgung von Atommüll und die Gefahr von Supergaus wie in Tschernobyl oder Fukushima. Zudem sind Atomkraftwerke eine potentielle Quelle für Atomwaffenmaterial.
Erneuerbare Energien wirken dagegen wie ein Katalysator zur Lösung dieser globalen Menschheitsprobleme. Sie emittieren keine Treibhausgase, keine Radioaktivität und sind so der wichtigste Beitrag zum Stopp der Erdüberhitzung und der Atomgefahren. Sie schaffen eine Energieversorgung ohne Luftverschmutzung, belasten nicht die Gewässer mit Abfällen und sind so ein wesentlicher Beitrag für die Gesundheit der Menschheit. Solarstrahlen und Wind sind unbegrenzt und an jedem Ort der Erde vorhanden, weshalb es um diese Energie keine Kriege geben kann. Erneuerbare Energien sind dezentral für jedermann verfügbar und ermöglichen somit auch Ländern und Regionen ohne fossile Rohstoffe eine weitgehende Energieunabhängigkeit. Damit können sie Wohlstand und Energiesicherheit für Alle bringen, ohne Gewinnmaximierung für wenige Konzerne.
100% Erneuerbare Energien sind möglich
Doch in der öffentlichen Debatte dominieren die Argumente, die die Vertreter der fossilen und atomaren Wirtschaft unentwegt einbringen, um die Umsetzung von 100 % Erneuerbaren Energien in Frage zu stellen. Obwohl längst widerlegt, wird ständig wiederholt, dass Erneuerbare Energien vom Wetter abhängig seien und deshalb keine verlässliche Energieversorgung möglich wäre. Doch viele realisierte Projekte zeigen auf, dass ein Mix aus Erneuerbare Energien Erzeugung plus Speichern eine verlässliche ganzjährige Energieversorgung liefern kann. Unentwegt wird behauptet, dass Erneuerbare Energien zu teuer seien und ein Ausbau zu 100 % noch viele Jahrzehnte benötigen würde und deshalb ein Festhalten am fossilen und atomaren Energiesystem, mit Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran noch viele Jahrzehnte neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien unverzichtbar sei. Doch genau diese Argumente sind längst widerlegt und entsprechen nicht der Wirklichkeit.
Heute sind in weiten Teilen der Welt die Solar- und Windenergie die billigste Art der Energieerzeugung. Sofern sie in wenigen Länder noch teurer sind, liegt es daran, dass dort fossile und atomare Energien mit horrenden Steuergeldern subventioniert werden. Doch genau diese Steuermittelverschwendung führt dazu, dass das öffentliche Geld fehlt für Bildung, Infrastruktur oder das Gesundheitswesen.
Abgesehen von den offensichtlichen Vorteilen, die Erneuerbare Energiesysteme in Hinblick auf die Klimaerwärmung mit sich bringen, sind sie schon von den privaten Kosten her den fossilen Brennstoffen vorzuziehen. Prof. Mark Z. Jacobson von der Stanford University und sein Team zeigen in ihrer Studie „Impacts of Green New Deal Energy Plans on Grid Stability, Costs, Jobs, Health, and Climate in 143 Countries“, dass es sich für alle 143 untersuchten Länder lohnt, heute schon auf einen Wind-Wasser-Solar-Energiemix umzusteigen, da dieser in allen Fällen günstiger ist, als den Status Quo bis 2050 beizubehalten.
Preisentwicklung der Erneuerbaren Energien
In Europa, den USA und anderen Ländern zeigt sich 2020 folgende ökonomische Grundlage der Energieerzeugung: Für die Erzeugung einer Megawattstunde mit Kraftwerken betrieben mit Kohle, Erdöl, Erdgas oder Atomkraft müssen Kosten von etwa 80 bis 120 US-Dollar bezahlt werden. Strom aus Windkraftanlagen dagegen kann man vielfach schon für 60 US-Dollar und aus Solarkraft je nach Standort sogar weit unter 40 US-Dollar pro Megawattstunde erzeugen. Die Mongolei hat herausragend gute Standortfaktoren für Solar- und Windenergie, so dass die Ökostromerzeugung hier sogar noch wesentlich billiger ist.
Dass heute die Erneuerbaren Energien mit Abstand die billigste Art der Energieerzeugung sind, ist ein Ergebnis des rasanten technologischen Fortschrittsgerade in den letzten Jahrzehnten. Laut der jüngsten Analyse der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) hat nicht nur die Solarenergie in den letzten 10 Jahren enorm im Preis nachgelassen. Bei neu in Betrieb genommenen Projekten sanken die globalen gewichteten durchschnittlichen Stromkosten für Solar im industriellen Maßstab im Zeitraum 2010-2019 um 82%, für Onshore-Wind 39%, für Offshore-Wind 29 % und für Bioenergie 13 %. Auch die Kosten für Speichersysteme, insbesondere moderne Lithium-Ion-Batterien sind in den letzten Jahren so stark gesunken, dass in den USA und anderen Ländern bereits reihenweise Kohle und Atomkraftwerke abgeschaltet und durch Kraftwerke mit Solar-, Windkraft und Speichern ersetzt wurden. In den USA wurden seit 2016 keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut. Stattdessen wurden in den letzten zehn Jahren über 28 GW an neuen Kraftwerkskapazitäten abgesagt und in den letzten 20 Jahren über 120 GW aus Kohlekraftwerken stillgelegt. Ein wichtiger Grund ist die viel billigere Stromerzeugung aus Sonne und Wind in Verbindung mit Speichern.
In Indien wurden noch in 2016 viel mehr Kohlekraftwerke als Solarparks in Betrieb genommen: 21 GW Kohle und 7 GW Solar. Doch schon im Jahr danach hatte sich das Verhältnis komplett umgekehrt zu 2/3 Solarparks und nur noch 1/3 Kohlekraftwerke. Schon heute ist absehbar, dass auch Indien aus der Kohle aussteigen wird.
Die Rasante Entwicklung der erneuerbaren E-Mobilität
Hand in Hand mit der Umstellung auf Strom, der durch Erneuerbare Energien gewonnen wurde, vollzieht sich die Umstellung der Automobilindustrie von herkömmlichen Benzinern und Dieseln zu Elektroautos. Im Jahre 2020 kostet es 15.000 US-Dollar, um einen mit Benzin betriebenen Jeep Liberty für 5 Jahre aufzutanken. Im gleichen Zeitraum einen elektrischen Jeep Liberty elektrisch aufzuladen, kostet nur ein Zehntel davon, 1.565 US-Dollar. Hinzu kommt noch, dass Elektroautos drei- bis siebenmal so lange halten bzw. mehr gesamte Fahrdistanz zurücklegen können als mit Diesel oder Benzin betriebene Autos.
Und selbst die Kaufpreise für neue E-Autos fallen und fallen. Bereits in drei bis vier Jahren werden die Batteriepreise soweit gefallen sein, dass sogar die Neuanschaffung eines typischen E-Autos ebenso teuer und später sogar billiger sein wird als der Kauf eines vergleichbaren Autos mit Verbrennungsmotor.
Mit dem billig gewordenen Strom aus Solarenergie, Windkraft und Speichern werden auch saubere Heizungen, insbesondere mit Ökostrom betriebene Wärmepumpen, immer billiger und können zunehmend Heizungen mit schmutziger Kohle, Erdöl und Erdgas ersetzen.
Fossile Brennstoffe haben hohe Gesundheitskosten
Die Umstellung auf Erneuerbare Energien in der Stromerzeugung, bei Heizungen und im Verkehr ist die alles entscheidende Maßnahme auch für die Gesundheit der Bevölkerung. Über sieben Millionen Menschen sterben jährlich in der Welt an Luftverschmutzung. Im Jahre 2016 überholte die Millionenstadt Ulan Bator Neu-Delhi und Peking als die Hauptstadt mit der höchsten Luftverschmutzung. Im selben Jahr starben schätzungsweise 1800 Menschen an Krankheiten, die auf Luftverschmutzung im Haushalt, und weitere 1500 Menschen an Krankheiten, die auf die Luftverschmutzung im Freien zurückzuführen sind. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird der größte Teil dieser Verschmutzung durch die Verbrennung von Rohkohle zur Abwehr der Winterkälte verursacht.
Die durch Luftschadstoffe verursachten Lungenkrankheiten sind ein Hauptgrund, dass die Infektionen mit lungenangreifenden Viren, wie COVID-19 zu schweren Krankheiten bis zum Tod führen können. Eine schnelle Umstellung auf 100 % erneuerbare Energien ist daher gerade auch für Ulan Bator entscheidend für die Gesundheit der Bevölkerung.
Wissenschaft belegt die Umsetzbarkeit der Energiewende
Die Behauptung der fossilen und atomaren Wirtschaft, dass erneuerbare Energien wegen ihrer Wetterabhängigkeit keine verlässliche Energieversorgung liefern könnten und deshalb Grundlast-Kraftwerke betrieben mit Kohle und Atomenergie notwendig seien, ist wissenschaftlich längst widerlegt.
2019 wurde von der Energy Watch Group in Berlin zusammen mit der Universität Lappeenranta in Finnland unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Breyer eine Studie veröffentlicht, die klar aufzeigt, dass ein globales 100% Erneuerbares Energiesystem technisch und ökonomisch möglich ist. Mit über 120 verschiedenen Technologien zur Energieerzeugung aus Sonne, Wind, Wasser, Pflanzen und Erdwärme sowie Speichern wie Batterien oder grünem Wasserstoff und emissionsfreien Anwendungen wie Wärmepumpen in der Heizung und elektrischen Fahrzeugen. Dadurch wird nachgewiesen, dass zu jeder Stunde des Jahres an jedem Ort der Erde eine Energieversorgung nur mit Erneuerbaren Energien möglich ist. Zudem ist ein solches Erneuerbares Energiesystem kostengünstiger als das heutige fossile-atomare.
Ein 100% Erneuerbares Energiesystem ist technologisch machbar & ökonomisch vorteilhaft: Beispiele aus Deutschland und Vietnam
Allen Bedenken zum Trotz kann es auch sehr schnell umgesetzt werden. In Deutschland wurde in nur 20 Jahren die Stromversorgung von 6% im Jahre 2000 auf 50 % im Jahre 2019 Ökostrom gesteigert, obwohl keine deutsche Regierung dieses Ziel jemals ausgerufen hätte. Dabei muss bedacht werden, dass noch vor zehn Jahren die technologische Reife der Erneuerbaren Energien noch nicht weit fortgeschritten war und zudem die Kosten relativ hoch. Das hat sich heute fundamental gewandelt, weshalb davon auszugehen ist, dass Deutschland bereits 2030 voll mit 100 % Erneuerbarem Strom versorgt werden kann.
Die technologischen Fortschritte führen dazu, dass nun auch in Entwicklungs- und Schwellenländern ein steiles Wachstum der Erneuerbaren Energien zu sehen ist. So wurden in Vietnam in 2020 über 9.500 MW an PV-Dachanlagen installiert, im Jahr 2019 waren es nur 378 MW. Der Grund ist klar: Vietnam hat einen unbürokratischeren Einspeisetarif für PV-Dachanlagen ohne Ausschreibungen. Der niedrige Einspeisetarif von 0.0838 US-Dollar pro kWh über 20 Jahre hat den rasanten Boom ausgelöst. Das rasante Wachstumsbeispiel in Vietnam zeigt auf, dass die notwendigen Investitionen in wenigen Jahren möglich sind, die bis 2030 erforderlich sind, um 100% Erneuerbaren Energien zu erreichen.
Politischer Wille kann den Wandel ermöglichen
Das alles Entscheidende dafür ist der politische Wille von Regierungen und Parlamenten dies mit Gesetzen und Förderprogrammen auch umzusetzen.
Die wichtigsten politischen Maßnahmen dafür sind:
- Ein Gesetz, dass die Einspeisung von erneuerbaren Energien mit einer festen Einspeisevergütung über 20 Jahre garantiert. Diese Einspeisevergütung muss gesetzlich garantiert sein und darf nicht über Ausschreibungen festgelegt werden, da Ausschreibungen kleine und mittlere Akteure, wie beispielsweise Dachanlagen Besitzer, aussperren und so eine Marktkonzentration in den Händen weniger Großkonzerne schafft. Besonders wichtig wäre eine Einspeisevergütung, welche kombinierte Investitionen befördert, die auch Speicher und die Kopplung der Sektoren Heizung und Verkehr mit beinhalten.
- Neben der direkten Förderung mit Einspeisevergütungen für die Investoren in erneuerbare Energien ist die Abschaffung jeglicher Unterstützung für die fossile und atomare Wirtschaft von höchster Wichtigkeit. Insbesondere müssen alle steuerlichen Subventionen zur Unterstützung der Kohle, des Erdöls und Erdgas abgeschafft werden.
- Darüber hinaus wäre eine Aufklärungs- und Bildungskampagne für die Vorteile der erneuerbaren Energien und deren technische Umsetzung hilfreich, um breite Unterstützung von der Bevölkerung zu erhalten.
- Genehmigungshürden für den Ausbau der erneuerbaren Energien sind abzuschaffen.
Wenn Regierung und Parlament in der Mongolei noch im Jahre 2021 entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, dann kann die Mongolei bis 2025 zu 100% durch Erneuerbare Energien versorgt werden. Die Menschen in Ulan Bator werden endlich saubere Luft atmen können und den freien Himmel an vielen Tagen im Jahr sehen. Zehntausende neue Arbeitsplätze können geschaffen werden und damit die Arbeitslosigkeit mildern. Die Mongolei würde damit auch den eigenen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung des Klimaschutzabkommen von Paris leisten.
Über den Autor:
Hans-Josef Fell war Vizepräsident von Eurosolar. Er arbeitete erfolgreich mit Hermann Scheer viele Jahre im Bundestag und bei EUROSOLAR zusammen. Heute ist er Präsident der Energy Watch Group, die mit wissenschaftlichen Studien und Politikempfehlungen Regierungen und Parlamente berät. Von 1998 bis 2013 war er Mitglied im deutschen Bundestag und hat dort im Jahre 1999 den Entwurf zum Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) geschrieben. Dieses Gesetz wurde vielfach in der Welt kopiert und hat die Grundlagen gelegt für den rasanten Ausbau der Erneuerbaren Energien.