Die Welternährung ist massiv gefährdet, durch Agrarkonzerne und die Erdüberhitzung

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Welternährung ist massiv gefährdet, durch Agrarkonzerne und die Erdüberhitzung

Vielfach findet man in der öffentlichen Debatte, dass die Welternährung, insbesondere angesichts einer kommenden Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen, nur durch intensive Landwirtschaft, immer höhere Flächenerträge, also durch große Agrarkonzerne gesichert werden kann. Dies bedeutet aber Monokulturen, hohen Pestizid und Mineraldüngereinsatz, was gleichzeitig hohe Treibhausgasemissionen erzeugt. Dies hat fatale Auswirkungen für das Klima der Erde, die gesunde Ernährung der Menschen und letztendlich kann auch der weltweite Hunger so nicht bekämpft werden. Gerade mit einer immer weiter steigenden Erdtemperatur werden immer mehr Ackerflächen zu Wüsten, zu unbebaubaren Überschwemmungsgebieten oder fallen dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer. Mit intensiver Landwirtschaft Ernährungssicherheit zu schaffen, ist ein glatter Irrweg. Solche Behauptungen kommen aus den Konzernetagen der Agrarkonzerne zur Sicherung ihrer klima- und gesundheitsschädlichen Geschäftsmodelle.

Vor allem im jahrelangen Streit um eine Reform der EU-Agrarpolitik zeigen sich die wahren Machtverhältnisse im Kampf um die vorherrschenden Ernährungssysteme – ökologisch, klimaschützend, sozial kleinbäuerlich auf der einen Seite oder intensive Monokulturen, Einsatz von Giften und Mineraldüngern und klimaschädlich, wie dies die großen Agrarkonzerne meist praktizieren.

Am Ende setzte sich im Juni dieses Jahrs die Agrarindustrie bei der entscheidenden Frage der Agrarsubventionen, dem größten Ausgabeposten der EU, durch: Die Mittel für eine Umstellung auf eine ökologischere Landbewirtschaftung (2. Säule der EU-Agrarsubventionen) werden lediglich von 20% auf 25% der gesamten Subventionen aufgestockt. Das heißt im Klartext, dass die erste Säule 75% bekommt. Dort gibt es keine ernsthaften Auflagen für mehr Ökologie. Das heißt, Monokulturen, Pestizide, Mineraldünger, schlicht die klima- und gesundheitsschädlichen Agrarmethoden werden weiter mit dem Löwenanteil der EU-Subventionen befördert.

Erneut haben sich die großen Agrar- und Chemiekonzerne durchgesetzt

Wie verheerend aber die Landwirtschaftsmethoden der Agrarkonzerne wirklich sind, hat die Alternative Nobelpreisträgerin Dr. Vandana Shiva aus Indien in ihrem neuen Buch „Wer ernährt die Welt wirklich?“ das Versagen der Agrarindustrie und die notwendige Wende zur Agrarökologie ausführlich und mit vielen Fakten und eigener weltweiter Erfahrung unterlegt aufgeschrieben. Im Bucheinschlag ist eindrucksvoll zu lesen:

In dieser Abrechnung der Aktivistin Vandana Shiva wird eindrucksvoll dargelegt, wie die Agrarindustrie mit Chemie und Gentechnik den Planeten plündert, die Lebenswelt zu Grunde richtet und unsere Gesundheit untergräbt. Sie zeigt faktenreich und sachkundig auf, wer wirklich unsere Nahrungsgrundlage sicherstellt und wie wir den Hunger besiegen und unsere Nahrungssicherheit wieder herstellen können

Nur 30 % der von den Menschen verzehrten Lebensmittel stammen aus industriellen Großbetrieben, 70 % aus kleinen, biologisch vielfältigen Betrieben. Dafür werden 75 % der ökologischen Zerstörung unseres Bodens unseres Wassers und unsere biologische Vielfalt durch industrielle Anbaumethoden verursacht und 40 % der Klimaverwüstung, die wir heute erleben, ist auf die industrielle globalisierte Landwirtschaft zurückzuführen.

D.h.: die industrielle Landwirtschaft wird, bis sie auch nur 40 % unserer Nahrungsmittelversorgung bereitstellen kann, 100 % unserer ökologischen Lebensgrundlagen zerstört haben. Dies ist ein Rezept für unser Aussterben, nicht für die Ernährung der Welt. Der biologische Anbau in landwirtschaftlichen Betrieben und Gärten überall muss zur planetarischen Mission werden. Wir müssen für ein Ernährungs- und Landwirtschaftssystem innovativ tätig werden, das die Erde, unsere Gemeinschaften unsere Städte und unsere Gesundheit regeneriert. Das ist Agrarökologie.

Das Buch liest sich weiten Teilen wie eine – wie auch ich meine – berechtigte Anklage an die Agrarkonzerne, die einen großen Teil des heutigen Welthungers und der Erdüberhitzung zu verantworten haben. Es ist gleichzeitig ein starkes Plädoyer für eine kleinbäuerliche dezentrale Bauern- und Bäuerinnenkultur, mit ökologischer Ausrichtung und daher sehr lesenswert. Es wäre zu wünschen, wenn das Buch eine starke Wirkung entfachen könnte, endlich den mächtigen Einfluss der Agrarkonzerne auf politische Beschlüsse zu mindern.

An einem Punkt hätte ich mir aber eine differenziertere Analyse gewünscht: Zweifellos hat die bisherige Anwendung der Gentechnik durch die Saatgutkonzerne meist einen stark monopolisierenden Einfluss für sie geschaffen und hat viele LandwirtInnen in finanzielle Abhängigkeiten oder gar Ruin getrieben, sowie eine wertvolle über Jahrhunderte entwickelte traditionelle Saatgutvielfalt zerstört. Insbesondere durch Patente und Gerichtsverfahren haben Saatgutkonzerne viele bäuerliche Existenzen vernichtet und die Saatgutvielfalt verringert.

Doch moderne Gentechnikmethoden machen das gleiche wie klassische Saatgutzüchtungen nur schneller und gezielter. Sie werden oft an Universitäten oder regionalen Forschungszentren entwickelt und könnten so ohne Patente oder Machtmonopole durch Konzerne an Kleinbauern und -bäuerinnen mit verbessertem Saatgut weitergegeben werden.

Dann können neue Gentechnikmethoden wie die Genschere (CRISPR) – ein guter regulatorischer Gesetzesrahmen, der Fehlentwicklungen wie ein Ausnutzen durch Agrarkonzerne verhindert, vorausgesetzt – genau das bewirken, was von Vandana Shiva in ihrem Buch bestens beschrieben wird, was aber die Gentechnik bisher meist verhinderte: Die Stärkung der Kleinbauern und -bäuerinnenn zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Agrarkonzernen. Mit Saatgut, welches gute Erträge sichert, ökologisch stabil ohne Pestizide auskommt und so auch einen Beitrag zur Hungerbekämpfung und Klimaanpassung liefern kann.

Doch dieser fehlende Ausblick auf neue Gentechnikmethoden, die die wichtigen Ziele einer konzernunabhängigen, kleinbäuerlichen, ökologischen und sozialen, sowie klimaschützenden Landwirtschaft befördern können, schmälert nicht den großen Einblick, den uns Vandana Shiva gibt, in die fehlgeleiteten Entwicklungen der weltweiten Ernährungspolitik, die immer noch weitgehend von den Interessen der großen Agrarkonzernen diktiert wird.

 

Hammelburg, 04. August,

 

Ihr Hans-Josef Fell