Tagesspiegel: Solarpaket begrenzt Beitrag der Landwirtschaft zum Klimaschutz

Gestern ist im Tagesspiegel Background Agrar@Ernährung mein Meinungsbeitrag zum Solarpaket und der Landwirtschaft erschienen:

Die Landwirtschaft könnte viel mehr zum Klimaschutz beitragen, als das Solarpaket der Bundesregierung zulässt, meint der Miterfinder des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Hans-Josef Fell. Er fordert eine feste Einspeisevergütung für Solarstrom vom Acker und die Abschaffung des Ausbaudeckels.

Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat kürzlich ein vernichtendes Urteil zur Klimapolitik der Bundesregierung ausgesprochen: Es fehle ein Gesamtkonzept und die Maßnahmen seien weiterhin unzulänglich. Gravierend ist, dass durch diese Klimapolitik – nicht nur in Deutschland – die Erde schnell weiter aufgeheizt wird und so in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Katastrophen an Intensität und Häufigkeit immer extremer und häufiger werden.

Der globale Katastrophensommer 2023 mit Hitzewellen, Starkregen, Ernteverlusten, Waldbränden – alles in nie dagewesener Intensität – wird dann nur ein kleines Vorspiel auf die kommenden Katastrophen gewesen sein. In diesem Jahr rechnet der Deutsche Bauernverband mit einer schlechten Ernte vor allem beim Getreide. Insbesondere der außergewöhnliche starke Regen im Hochsommer hatte viele Ernten vernichtet.

Dass dies dem Klimawandel zuzuordnen ist, bezweifelt kaum mehr jemand. Dass auch die Landwirtschaft am Aufheizen der Erdtemperatur ursächlich beteiligt ist, ebenso. Lachgasemissionen aus intensivem Landbau, fossile Treibstoffnutzung im landwirtschaftlichen Maschinenpark, LKW-Transporte über lange Strecken statt regionaler Verarbeitung und Vermarktung, intensive Massentierhaltung – alles trägt zum weiteren Aufheizen des Erdklimas bei.

Aber: Die Landwirtschaft kann und muss den Klimaschutz in der Welt befördern, etwa mit der Umstellung auf regenerative Anbaumethoden: Dauerbegrünung für Feldfrüchte und Mischfruchtanbau bringen Ertragsstabilität auch in Zeiten von Dürren oder Starkregenfällen. Humusaufbau schafft Kohlenstoffsenken. Daneben wird so auch Biodiversität befördert.

Zwei Ernten vom Acker sind möglich

Zusätzlich kann großflächige Agri-PV Böden vor starker Austrocknung und Pflanzen vor Sonnenbrand und Hagelschäden schützen. Neue intelligente PV-Anlagenkonzepte verbinden effiziente Bewässerung und Erosionsschutz mit Solaranlagen. Ernteerträge können bei weiter zunehmender Erdaufheizung kaum besser geschützt werden. Gleichzeitig werden so vom Acker zwei Ernten erwirtschaftet: Solarstrom und die Ackerfrucht.

Der Solarstrom vom Acker liefert künftig auch emissionsfreie Energie für die landwirtschaftlichen Anwesen und ganze Dörfer, für Elektrotraktoren und die Weiterverarbeitung der Feldfrüchte. Pflanzen für die Biogasanlage sind gespeicherte Sonnenenergie für die winterliche Strom- und Wärmeversorgung in Nahwärmenetzen für die Dörfer und als Biomethan auch für städtische Quartiere. Das Gärsubstrat der Biogasanlage liefert Naturdünger und ersetzt klimaschädlichen Mineraldünger.

Dort, wo noch Verbrennungsmotoren laufen, kann der Biokraftstoff beispielsweise mit reinen Pflanzenölen Energie liefern. Dies ist – richtig organsiert – keine Lebensmittelkonkurrenz, sondern Ernährungssicherung, denn die Ölpflanzen liefern über den eiweißreichen Presskuchen auch Nahrung für Tier und Mensch. Statt Eiweiß etwa als Soja aus Urwaldabholzungen zu importieren, liefern Ölpflanzen heimisches Eiweiß und Energie. Die Blüten liefern Honig und Insektennahrung.

Große Kohlenstoffsenken werden vor allem auch mit der Wiedervernässung von Mooren geschaffen. Die Wiedervernässung braucht eine ökonomische Grundlage, was Paludikulturen zusammen mit Solarstrom aus der Moor-PV bieten können.

Ausschreibungsmodell wird Agri- und Moor-PV ausbremsen.

Mit dem kürzlich im Bundeskabinett beschlossenen Solarpaket sollen Agri-PV und Moor-PV stärker gefördert sowie ein neues Fördersegment für Biodiversitäts-PV etabliert werden. Agri-PV und Moor-PV sollen neben Parkplatz-PV und Floating-PV mit eigenen Ausschreibungsvolumina bedacht werden. Viele loben dies, da es endlich eine Förderung dafür gibt.

Doch ein genauer Blick zeigt auf: Das Ausschreibungsmodell ist mit extremer Bürokratie verbunden. In den Ministerien werden oft unsinnige und praxisfremde Rahmenbedingungen festgelegt. Diese hohen Anforderungen verbunden mit erheblichen finanziellen Vorleistungen für Flächensicherung, Genehmigungszuschlag und erforderliche Gutachten können Unsummen an Geldern verschlingen. Damit werden finanzschwache Akteure und somit der Großteil bäuerlicher Landwirte oder dörfliche Energiegemeinschaften ausgeschlossen. Die hohen Hürden der Ausschreibungen werden wieder nur große Finanzstrukturen bevorteilen, die auch mal eine Projektentwicklung ohne Zuschlag verkraften können.

Zur Erinnerung: Es waren gerade Landwirte und dörfliche Energiegemeinschaften, die den Ausbau der erneuerbaren Energien aktiv und wesentlich getragen haben.

Der Ausbaudeckel ist zu niedrig

Zudem sind die Ausschreibungsvolumina viel zu niedrig gefasst. So soll das Volumen bestehender Freiflächenausschreibungen schrittweise auf nur drei Gigawatt (GW) pro Jahr erhöht werden. Mit der Erfahrung der steten Überzeichnungen in den PV-Ausschreibungen der letzten Jahre ist weiter abzusehen, dass die Investitionsbereitschaft der Gesellschaft weiter massiv ausgebremst werden wird. Die viel zu niedrigen Ausschreibungsvolumina wirken wie staatlich verordnete Ausbaudeckel.

Eindrücklich belegen dies die Ergebnisse der jüngsten Solarausschreibungsrunde: 4,66 GW neue Solaranlagen wurden als Angebote eingereicht. Nur 1,66 GW erhielten einen Zuschlag. Damit wurden also circa drei GW dringend benötigte PV-Investitionen verhindert – die geplant, finanziert und genehmigt sind – ein in Deutschland sowieso schwieriges Unterfangen.

Sogar ein neuer Ausbaudeckel wird eingeführt: Bis 2030 sollen insgesamt nur 80 Gigawatt Freiflächenanlagen gefördert werden. Auf Seite 106 der Begründung zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes steht: „Eine Teilnahme an den Ausschreibungen ist für Freiflächenanlagen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen bis einschließlich des Jahres 2030 nur möglich, bis eine installierte Leistung von 80 GW auf solchen Flächen erreicht ist.“

Dabei ist es völlig widersinnig, den Ausbau der Freiflächen-PV zu deckeln. Nach Analysen des Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg genügen nur rund vier Prozent der deutschen Ackerflächen, um damit bilanziell den gesamten aktuellen Strombedarf in Deutschland zu decken.

Die Befürchtung unter anderem des Bauernverbandes, dass zu große Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung wegfallen würden, sind also völlig unbegründet. Insbesondere auch, da ja die Agri-PV die gemeinschaftliche Nutzung von Solarstromerzeugung und Feldfrüchteanbau auf der gleichen Fläche verbindet.

80 Gigawatt sind viel zu wenig, um 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 zu erreichen, was aus Klimaschutzgründen aber zwingend nötig ist. Nach einer Analyse der Energy Watch Group für eine Vollversorgung mit 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 braucht es etwa 40 Gigawatt jährlichen Zubau an Freiflächen und gleich viel an Dachanlagen. Der Gesetzesentwurf des Solarpakets aber orientiert sich am komplett unzulänglichen Regierungsziel von 80 Prozent Ökostrom bis 2030 und eben nicht an 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030.

Wesentlich erfolgreicher wäre ein einfacher gesetzlich garantierter Vergütungssatz für Agri-PV und Moor-PV – so, wie vor der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes 2014. Dies würde allen, die die hohen Anforderungen für Genehmigung, Planung und Finanzierung geschafft haben, eine klare Investitionssicherheit geben.

Der Bundestag kann und muss noch viel am Solarpaket verbessern

Der Bundestag hat mit diesem Solarpaket im Herbst wieder eine Herkulesaufgabe vor sich. Um den Solarausbau so stark zu beschleunigen, wie es der Klimaschutz erfordert, sollte er sich an folgenden Leitlinien orientieren:

  • Keine neuen Deckel. Der Deckel für Freiflächen von 80 GW bis 2030 muss wieder aus dem Gesetzesentwurf gestrichen werden.
  • Es sollte eine feste Einspeisevergütung für Agri-PV, Parkplatz-PV, Floating-PV und Moor-PV eingeführt werden, statt sie in lähmende und bürgerenergiefeindliche Ausschreibungen zu zwingen.
  • Einführung von Anreizen für systemdienliche Investitionen vor Ort mit einem Mix aus allen erneuerbaren Energien, Speichern und Sektorenkopplung. Eine Kombikraftwerksvergütung könnte dies leisten.

Nur so kann der politische Wille umgesetzt werden: Einen steilen, exponentiellen Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik zu schaffen. Dies wäre auch der wesentliche Beitrag zum Klimaschutz, um die rasant fortschreitende Erdüberhitzung noch einzudämmen. Landwirte und Verbände, vor allem der mächtige Bauernverband, sollten sich jetzt entsprechend dafür einsetzen.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group. Von 1998 bis 2013 saß er für die Grünen im Bundestag. Er ist einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das auf Initiative einer Parlamentariergruppe um Fell und Michaele Hustedt von den Grünen sowie dem Sozialdemokraten Hermann Scheer beschlossen wurde.