Auf der Suche nach einer Neubewertung der Gentechnik bei den Grünen

Liebe Leserinnen und Leser,

Auf der Suche nach einer Neubewertung der Gentechnik bei den Grünen

Große Wellen geschlagen hat ein kürzlich veröffentlichtes Diskussionspapier von 20 Grünen-Mitgliedern aus Bundestag, EU-Parlament und Parteibasis, in dem eine Neubewertung der Gentechnik gefordert wird. Auch ich hatte dieses Papier als Autor mitgetragen.

Im gerade vorgestellten Entwurf zum neuen Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen gibt es ebenfalls Offenheit für den Vorstoß, und es werden klare Ziele in Umwelt- und Klimaschutz und ebenso eine offene und verantwortungsvolle Suche nach dem besten Weg dorthin vorgeschlagen: „Auch wenn die Versprechen der klassischen Gentechnik bis heute nicht eingelöst sind, so sind alte und neue gentechnische Verfahren doch in der Welt. Unser Kompass zum Umgang mit ihnen ist wie bei jeder Technologie, die Folgen der jeweiligen Anwendung für Mensch und Umwelt zu beurteilen. Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum. Forschung zu neuer Gentechnik soll ebenso gestärkt werden wie alternative Ansätze, die auf traditionelle Züchtungsverfahren setzen. Auch bei neuen gentechnischen Verfahren braucht es Risikoforschung. Wir halten an einem strengen Zulassungsverfahren und an der europäischen Orientierung am Vorsorgeprinzip fest. Es darf keine Patente auf den Genpool der Natur geben.“ Mich erreichten viele besorgte Zuschriften aus der Partei und aus dem befreundeten Umfeld der Umweltverbände, die davor warnten, auch nur einen kleinen Deut von der bisherigen klaren Ablehnung jeglicher Gentechnik abzuweichen. Zu groß sei die Gefahr, dass auch bei den neuen Gentechnikverfahren Konzerninteressen mit ihren unsozialen und unökologischen Geschäftsinteressen den Markt wie in der Vergangenheit zu Lasten von Kleinbauern und Ökologie ausnutzen und dominieren würden.

Mich erreichten aber auch viele Zuschriften, die den Vorstoß unterstützten, die neuen Gentechnikmethoden unvoreingenommen zu beurteilen, sie einer umfassenden Technikfolgenabschätzung zu unterwerfen und – wenn diese auch Chancen hervorbringt – die neue Gentechnik einer politischen Regulation zu unterwerfen, die die Chancen nutzen kann, aber Fehlentwicklungen verhindert.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass in der Vergangenheit die klare Ablehnung der Gentechnik an sich zwar zum Teil in der EU aber nicht weltweit massive schlimme Auswüchse der Gentechnik verhindert hat. Obwohl sie doch gerade Giftfreiheit versprach, hat sie vielfach zu einer hohen Pestizidbelastung geführt. Sie hat Kleinbauern u.a. durch Landnahme von ihren Feldern vertrieben oder in die bittere Armut und Ausweglosigkeit getrieben. So hatten mich immer die Berichte der Trägerin des alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, beeindruckt, die aus Indien berichtete, dass gentechnikfreie Zonen gleichzeitig selbstmordfreie Zonen bedeuten. Hier in einem eindrucksvollen Interview in der Taz von 2011.

Doch mit moderner, und teilweise auch mit älterer Gentechnik gibt es auch andere Erfahrungen, gerade auch in Indien. Schon 2012 hat ein Forscher*innenteam in einer umfangreichen Langzeitstudie positive Effekte für 7 Millionen Kleinbauern in Indien bei der Nutzung von gentechnisch modifizierter Bt-Baumwolle nachgewiesen: „Die Ergebnisse zeigen, dass Bt-Baumwolle den Einsatz chemischer Insektizide deutlich reduziert hat. Außerdem sind die Erträge im Vergleich zu konventioneller Baumwolle um durchschnittlich 24 Prozent höher. Trotz des teureren Saatguts erzielen die Baumwollbauern mit der Bt-Technologie um 50 Prozent höhere Gewinne.“

Auch im umfangreichen Bericht „Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit; Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss“ des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung von 2018 finden sich auf Seite 33 bemerkenswerte und lesenswerte Berichte über große Erfolge, aber auch Misserfolge der gentechnischen Züchtung z.B. zur Bekämpfung von Mangelernährung bei Kindern. Zitat: „Der Anbau genveränderter Pflanzen kann im Sinne der Nachhaltigkeit sein. So erübrigt sich der Einsatz von Insektiziden beispielsweise bei Kichererbsen mit einer eingebauten Abwehr gegen die Maruca-Motte, einen berüchtigten Schädling mit einer Vorliebe für Hülsenfrüchte, der immer wieder halbe Ernten vernichtet. Oder bei transgenem Mais, der mithilfe eines Bakterien-Gens resistent gegen den neuerdings nach Afrika eingeschleppten Herbst-Heerwurm ist.“

Dort wird insbesondere auf die Bedeutung neuer gentechnischer Verfahren wie z.B. der Genschere (Crispr) hingewiesen, deren Anwendung zur Verbesserung von Nahrungsmittelpflanzen und damit zur Lebensmittelsicherheit in vielen afrikanischen Ländern führen kann. Es geht also darum, eine umfangreiche Analyse anzustellen, mit einer offenen Herangehensweise an die Chancen, die moderne gentechnische Methoden ermöglichen. Gleichzeitig muss im Rahmen einer umfangreichen Technikfolgenabschätzung abgeklärt werden, ob mit diesen Methoden tatsächlich keine inakzeptablen Risiken einhergehen.

Wenn dies geklärt ist, braucht es einen guten regulatorischen Gesetzesrahmen, der Fehlentwicklungen wie zum Beispiel ein Ausnutzen durch Agrarkonzerne verhindert. Die weltweite Lebensmittelversorgung wird vor allem durch Milliarden von Kleinbauern gesichert, weniger durch Konzernaktivitäten. Diese Kleinbauern gilt es mit verbessertem Saatgut zu für sie erschwinglichen Preisen zu unterstützen. Genau hier können neue gentechnische Verfahren äußerst hilfreich sein, wenn sie viel schneller für das gewünschte Ergebnis entwickelt werden können als langwierige konventionelle Züchtungsmethoden, aber im Endeffekt das gleiche, nicht mehr unterscheidbare Ergebnis liefern.

Die Welt verändert sich, wie wir in unserem Debattenbeitrag geschrieben haben: „Ökolandbau, veränderte Anbaumethoden und Fruchtfolgen sowie die Wiederentdeckung alter Sorten bergen weiterhin viel ungenutztes Potenzial für eine nachhaltige Landwirtschaft und stellen teilweise bereits verfügbare Lösungen dar. Dennoch werden die immer kürzer getakteten gravierenden Folgen des Klimawandels auch immer rasantere Anpassungsmaßnahmen in der Landwirtschaft notwendig machen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alleine durch Veränderungen in Anbau und Saatauswahl zu leisten sein werden. Das gegenwärtige Innovationstempo reicht mittlerweile zur Rettung von Klima und Umwelt nicht mehr aus. Wir müssen daher auf differenzierte Lösungsansätze setzen, die vielversprechende, neue Technologien ebenso wie soziale Innovationen, Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einbinden. Sie sind Teil des Wegs zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Lebensweise, die die globale Ernährungsfrage ebenso im Blick hat wie klimapolitische Notwendigkeiten der Flächenschonung und der Erhalt der Artenvielfalt.“

Die rasant fortschreitende Klimakrise stellt die Menschheit auch bei der Nahrungssicherheit für Milliarden von Menschen vor neue, bisher unbekannte Herausforderungen. Neue Chancen, wie sie sich mit neuartigen gentechnischen Verfahren abzeichnen, dürfen nicht rein aufgrund fundamentaler Ablehnung verhindert werden. Daher werbe auch ich für eine offene Diskussion, die Chancen und Risiken abwägt, damit schnelle und gute Lösungen für die Ernährungssicherheit der Menschheit auch in Zeiten der Klimakrise gefunden werden können.

Hammelburg, 29. Juni 2020

Ihr Hans-Josef Fell