Fossil-atomare Wirtschaft unterwandert EE-Verbände, um Ausbau der Erneuerbaren Energien zu monopolisieren
Liebe Leserinnen und Leser,
Fossil-atomare Wirtschaft unterwandert EE-Verbände, um Ausbau der Erneuerbaren Energien zu monopolisieren
Inzwischen ist es augenfällig: Der Umstieg auf Ausschreibungen statt fester Einspeisevergütungen hat den Ausbau der Erneuerbaren Energien in vielen Ländern, von China über Indien, die Ukraine, Brasilien und insbesondere in Deutschland massiv dezimiert. So ist der Neuzubau der Windkraft an Land in Deutschland seit Einführung der Ausschreibungen durch die GroKo im Jahr 2017 von etwa 4,8 GW in 2017 auf ca. 1 GW in 2019 eingebrochen. Gleichzeitig sind die Bürgerenergien von der Teilnahme fast ausgeschlossen und auch die erhoffte Kostensenkung wurden nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Fortführung der jährlich degressiven EEG-Einspeisetarife hätte bei neuen Windprojekten gegenüber den realen Zuschlägen der Windkraft-Ausschreibungen des Jahres 2019, die alle ganz nahe am zugelassenen Höchstpreis von 6,2 ct/kWh lagen, zu niedrigeren Vergütungen geführt. Zusätzlich gibt es Massenentlassungen in der Windbranche und sogar Insolvenzen.
Trotz der für die Branche existenziellen Krise wird aber z.B. vom Bundesverband Windenergie (BWE), dem wichtigsten Branchenvertreter für Windkraft in Deutschland, kein Zurück zur erfolgreichen Einspeisevergütung im EEG gefordert. Es erscheint vollkommen unverständlich, dass der Bundesverband WindEnergie (BWE) und auch andere die Ursache des Übels, die Umstellung auf Ausschreibungen, akzeptieren. Nun ist aber innerhalb der komplexen Welt der internationalen Windkraftverbände ein Machtkampf genau darüber entstanden.
Wie nach der letzten BWE-Vorstandssitzung bekannt wurde, hatten der weltweite Branchenprimus Vestas und weitere große BWE-Mitglieder einen Antrag gestellt, dass der BWE aus dem internationalen Verband World Wind Energy Association (WWEA) und dem Europäischen Verband European Renewable Energy Federation (EREF) austreten und stattdessen auf globaler Ebene nur noch Mitglied beim Global Wind Energy Council (GWEC) sein solle. Die Antragsteller waren als einzelne Unternehmen bereits allesamt Mitglieder des GWEC.
Begründet wird dies unter anderem damit, dass sich WWEA und auch EREF für Bürgerenergien und feste Einspeisevergütungen einsetzen. So hatte die WWEA ein Gutachten ausarbeiten lassen, das starke Investitionseinbrüche in der Windbranche weltweit nach der Umstellung auf Ausschreibungen belegte.
Auch wurden im BWE-Vorstand Vorschläge kritisiert, die Umstellung auf Ausschreibungen und die fehlende Unterstützung für Bürgerenergien stärker politisch zu thematisieren. Einigen Windkonzernen, insbesondere Vestas, geht es offensichtlich nicht vorrangig um die Ausweitung der Windmärkte, sondern um Monopolisierung und Marktbeherrschung. Da passen Insolvenzen von Wettbewerbern und eine Unterdrückung der Bürgerenergien gut ins Geschäft.
Gleichzeitig arbeiten Konzerne wie Vestas eng mit der fossilen und atomaren Wirtschaft zusammen. Dies zeigt sich bei einem Blick auf die Mitglieder des GWEC. Laut eigener Beschreibung auf seiner Website besteht die Aufgabe des GWEC darin, die Vorteile der Windenergie öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren, maßgebliche Forschung zur Windkraftindustrie durchzuführen, Regierungen mit transparenten Informationen über die Vorteile der Windkraft zu versorgen und den Austausch zwischen Regierungen zu fördern, um „best practices“ im Ausbau der Erneuerbaren bzw. Windkraft voranzutreiben.
Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass hier etwas nicht stimmen könnte. Die Mitglieder des GWEC sind in Kategorien aufgeteilt, gestaffelt nach ihrer finanziellen Unterstützung für den Verband. Dabei stellen die „C0 corporate members“ die Mitglieder erster Klasse dar. Und hier sticht direkt eines heraus: Royal Dutch Shell. Den niederländischen Öl- und Erdgasmulti würde man nicht direkt unter den Premium-Mitgliedern eines weltweiten Branchenverbandes für Windenergie vermuten. Denn trotz vorgeblicher Bemühungen, Erneuerbare Energien zu fördern, setzt der Konzern weiterhin massiv auf fossile Energieträger, in den kommenden 10 Jahren sind z.B. Investitionen in der Höhe von 300 Milliarden US-Dollar in fossile Energieprojekte geplant.
Weiter findet sich in der ersten Riege der GWEC-Mitglieder EDP Renewables, die erneuerbare Tochter des größten portugiesischen Energieversorgers Energias de Portugal (EDP), gleichzeitig einer der größten Energieversorger Europas. Außer in Portugal ist die EDP auch in Spanien, Frankreich, Belgien, Polen, Rumänien, USA und Brasilien präsent. Als ehemaliger Staatskonzern ist EDP an allen Formen der Energiepoduktion beteiligt, neben Erneuerbaren Energien zählen dazu auch Kohle, Erdgas und Atomenergie. Auch der norwegische Energieriese Equinor ist Teil der C0-Mitglieder. Zwar hat Equinor eine Windenergiesparte, dennoch besteht auch hier das Kerngeschäft weiter im Bereich der Öl- und Erdgasgewinnung. Auch der spanische Mischkonzern Acciona ist keinesfalls nur am Ausbau der Windenergie interessiert, sondern vor allem stark im Bereich Verkehr, Transport und Infrastruktur, die nach wie vor zum Großteil eng mit der fossilen Industrie verbunden sind.
Eines der prägendsten Unternehmen und Mitbegründer des GWEC ist der bereits oben erwähnte dänische Windanlagenproduzent und Weltmarktführer Vestas. Das Unternehmen stellt mit seinem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Morten Dyrholm auch den Präsidenten des GWEC.
Vestas ist weltweit am Bau großer Windparks beteiligt, interessant sind hierbei Aufträge, die Vestas in den vergangenen Jahren gewonnen z.B. hat zur Lieferungvon Turbinen an einen Offshore-Windpark in den Niederlanden an dem Shell beteiligt ist (2017). Auch mit dem französischen fossil-atomaren Energiemulti Engie hat Vestas einen Ausliefervertrag für Turbinen in Brasilien geschlossen (2019) und erhielt in Griechenland einen Auftrag vom spanischen Stromproduzenten Iberdola (2019). Letzterer ist mit seiner erneuerbaren Sparte auch C0-Mitglied des GWEC, aber setzt als Gesamtkonzern eben auch auf Erdgas und beteiligt sich am Betrieb von fünf spanischen Atomkraftwerken. Außerdem konnte sich Vestas zum Ende des letzten Jahres noch einen weiteren Großauftrag sichern, zum Bau von drei Windenergieprojekten in Russland. Diesmal kam er vom finnischen Energiekonzern Fortum, der maßgeblich im Bereich der Atomenergie aktiv ist und dem russischen Quasi-Staatsunternehmen RUSNANO.
Unter Berücksichtigung dieser Fakten stellt man fest, dass die fossile und die erneuerbare Energiesparte – zumindest im Bereich der Windenergie – keine separaten Gruppen darstellen, sondern womöglich nur zwei Seiten derselben Medaille. Die großen Energiekonzerne haben schon längst im erneuerbaren Sektor Fuß gefasst und bestimmen die weltweiten Großprojekte für Windparks, übrigens auch bei Solarparks. Dass in einem solchen System die schnelle und radikale Abkehr von fossilen und nuklearen Energieträgern und eine gemeinsame Interessenlage mit den auf 100% erneuerbare Energien setzenden WWEA-Mitgliedern nur schwer möglich erscheint, liegt auf der Hand. Denn die großen Energieunternehmen wollen die Energiewende – wenn überhaupt – nur eigenmächtig nach ihren eigenen „Tempo“-Vorstellungen gestalten und ohne Rücksicht auf Mensch & Natur die größtmöglichen Profite aus allen Formen der Energiegewinnung erwirtschaften. WWEA-Ziele, wie größtmögliche Beteiligung der lokalen Kommunen und Anwohner*innen und hoher Verbleib der regionalen Windkraft-Wertschöpfung in den Standortgemeinden der Windprojekte, sind da nur störend.
Der Machtkampf im BWE um die Mitgliedschaft bei WWEA und EREF ist mehr als nur ein Gerangel. Es geht um die Frage, ob der BWE als Windverband mit bisherigem Fokus auf die Vielfalt kleiner, mittlerer und lokaler Akteure und einen zügigen Übergang zu 100% Erneuerbare Energien diese Ziele auch international mit und durch die WWEA weiter vertritt. Oder, ob der BWE sich hinsichtlich dieser Ziele zukünftig vom „Interessen-Mischverband“ GWEC ausbremsen zu lassen bereit ist. Es ist ja ohnehin schwierig genug, die weltweit vereinbarten Paris-Ziele zeitgerecht einzuhalten, geschweige denn, deren Erreichung noch zu beschleunigen.
Wie soll das gehen, wenn die daran arbeitenden Kräfte wie die WWEA von Deutschland aus geschwächt werden? Die Folgen der Schwächung der bürgernahen Kräfte sind in Deutschland selbst ja nun seit Jahr und Tag schmerzlich zu sehen: Die Anwohner*innen von Windkraftprojekten fühlen sich unzureichend beteiligt, protestieren nahezu flächendeckend und der Zubau ist in 2019 auf ein Fünftel früherer Jahre kollabiert. Es gilt nun diejenigen im BWE zu stützen, die sich weiterhin konsequent und glaubwürdig für den Ausbau der Bürgerenergien und des regionalen Nutzens einsetzen und dies auch europapolitisch und international mit dem BWE verteidigen. Wenn der BWE bei WWEA und EREF tatsächlich austritt, ist dies eine klare Entscheidung gegen vermehrte bürgerliche Teilhabe und für die Ausschreibungen als Instrument der großen internationalen Energiekonzerne. Am Ende verliert der Klimaschutz.
In den Brüsseler Verhandlungen um das sogenannte Winterpaket und die neue Erneuerbaren-Richtlinie RED II konnte EREF mit seinen Verbündeten wichtige Erfolge für die Bürgerenergie in sogenannten „energy communities“ und „citizens communities“ durchsetzen, wozu es von Vestas und weiteren auch im europäischen Windkraftverband WindEurope keine Unterstützung gab.
Es wäre widersinnig, wenn EREF im Sinne der bisherigen BWE-Ziele in puncto mehr echter Bürgerenergie kürzlich deutliche Erfolge erzielt hat, sich aber der BWE gerade jetzt aus der EREF-Arbeit verabschieden würde.
Vestas und seine Verbündeten im BWE stützen ganz offensichtlich das Geschäft der fossilen und atomaren Konzerne, deren zahlungskräftige Mitglieder im GWEC eben vorrangig Geschäfte mit Erdöl, Erdgas und Atomenergie machen und so die Hauptverursacher der Erdüberhitzung sind. Schlimm ist, dass nun diese großen Konzerne in der Branche der Erneuerbaren Energien offenbar deutlich an Einfluss gewinnen, die die Klimazerstörung auch noch mit ihren politischen Lobbyeinflüssen pro Ausschreibungen international unterstützen.
Berlin, 19. Februar 2020
Ihr Hans-Josef Fell