Die Internationale Energieagentur trägt immer noch dazu bei die fossile und atomare Industrie am Leben zu halten

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Internationale Energieagentur trägt immer noch dazu bei die fossile und atomare Industrie am Leben zu halten

Der jährlich veröffentlichte World Energy Outlook (WEO) der Internationalen Energieagentur (IEA) gilt als die bedeutendste Marktprognose im Energiesektor, sowohl für die Politik als auch für die Wirtschaft. So prognostiziert der WEO beispielsweise die Kosten und die Nachfrage der verschiedenen Energiequellen. Dies geschieht im Rahmen bestimmter Szenarien, der aktuelle WEO legt das Hauptaugenmerk auf das s.g. „New Policies Scenario“ (NPS), welches durch einen weltweiten Politikwechsel eine nachhaltigere und klimafreundlichere Energieversorgung ermöglichen soll.

Jedoch würde das NPS dennoch einen globalen Temperaturanstieg von bis zu 3 Grad bedeuten und ist nicht nur unvereinbar mit den Pariser Klimazielen, sondern würde auch verheerende Folgen für uns Menschen und unseren Planeten haben. „New Policies“ sind also nicht mehr als eine hübsche Verpackung für „Weitermachen wie bisher“ und eine Fortsetzung der Unterstützung für fossile Energieträger, vor allem Erdgas und Atomkraft, in Verbindung mit teurer CCS-Technologie.

Die IEA befeuert also weitere Investitionen in den fossilen Sektor und argumentiert schlichtweg mit angeblich langfristiger Notwendigkeit, während die Prognosen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, vor allem der Solarenergie, in jedem Jahr aufs neue unterschätzt werden, was gleichzeitig weniger Vertrauen und Investitionen in Erneuerbare Energien bedeutet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Nun haben über 60 VertreterInnen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und dem NGO-Sektor einen offenen Brief an IEA Direktor Fatih Birol geschrieben. Die UnterzeichnerInnen fordern die Organisation auf, endlich ihre Verantwortung wahrzunehmen, um eine vollständige Dekarbonisierung und eine Erreichung des 1.5 Grad-Ziels zu ermöglichen. Das schreiben enthält zwei Grundlegende Forderungen:

 

  1. Die sollte klarstellen, dass NPS ein „Business as usual“-Szenario ist, welches die Erderhitzung auf 2,7 bis 3 Grad vorantreiben wird. Es sollte umbenannt werde, denn hier ginge es nicht um „New Policies“, sondern um unzureichenden Klimaschutz,
  2. Das bisher existente „Sustainable Development Scenario“ (SDS) sollte erneuert und transparent gemacht werden, um die vollständige Übereinstimmung mit den Pariser Klimaschutzzielen und mindestens eine 66%ige Chance auf 1,5 Grad oder weniger zu garantieren. In solch einem Szenario sollten vor allem die Prognosen für Erneuerbare Energien und miteinhergehende Technologien mitsamt ihrer Ausbaugeschwindgkeit und sinkenden Kosten, Berücksichtigung finden.

Es ist gut und notwendig, dass in wachsendem Maße und von vielen Seiten wahrgenommen wird, was die Energy Watch Group (EWG) und wenige andere seit Jahren anprangern: Die IEA verhindert mit ihren Szenarien einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren und trägt somit ursächlich zur beschleunigten Klimaerwärmung bei. Hierzu hat die EWG bereits in der Vergangenheit einiges publiziert, um auf die Fehler des WEO hinzuweisen (2008, 2015-1, 2015-2, 2016)

Wie schlimm die Auswirkungen der jahrzehntelangen Politikberatung der IEA sind, zeigt ein Bericht der IEA selbst. Der kürzlich veröffentlichte Report „World Energy Investment“ (WEI) der IEA offenbart einmal mehr, dass immer noch wesentlich mehr Kapital in fossile Energieträger und Technologien fließt, als in Erneuerbare Energien. Über alle Sektoren hinweg wurden 2018 ca. 3x mehr Gelder in fossile Energien investiert (ca. $900 Milliarden) als in Erneuerbare Energien (ca. $300 Milliarden). Die derzeitige Entwicklung lässt dieses Ungleichgewicht sogar in einem noch schlechteren Licht erscheinen, denn die Investitionen in Erneuerbare Energien sind im zweiten Jahr infolge leicht Rückgängig, während mehr Geld in Öl, Gas und Kohle gesteckt wurde. Dies ist unter anderem das Ergebnis der IEA-Empfehlungen, dass zum Erhalt der Energieversorgungssicherheit eben große Investitionen in die fossile und atomare Energieversorgung getätigt werden müssen. Dass die Sicherheit der Energieversorgung auch mit100% Erneuerbare Energien möglich ist, wird bis heute nicht von der IEA wahrgenommen oder gar kommuniziert.

Die Zahlen sind bedrückend und erstmals merkt selbst die IEA an, dass generell mehr Investitionen im Energiesektor notwendig seien, und dass viele der vorhandenen Investitionen zu erneuerbaren Energieträgern umgeleitet werden sollten, um die Pariser Ziele noch zu erreichen. Laut Aussage der IEA sehe es aber derzeit „nicht danach aus“.

IEA-Präsident Birol selbst sprach bei der Vorstellung des WEI von der Notwendigkeit „mutige [politische] Entscheidungen zu treffen, um das Energiesystem nachhaltiger zu machen“, was auf ein allmählich wachsendes Klima- und Umweltbewusstsein der IEA schließen lassen könnte. Doch auch in diesem Report stehen wieder Sätze, die den Ausbau konventioneller Gas- und Ölprojekte als notwendig erachten, um die weltweite Energiesicherheit zumindest kurz- und mittelfristig sicherzustellen.

Solange die IEA kein 100% Erneuerbare Energien Szenario sowie ein transparentes 1.5 Grad-Szenario vorlegt und weiterhin fossile Energieträger für die Energiesicherheit voraussetzt, muss sie als einer der Hauptschuldigen für die galoppierende Erderwärmung angeprangert werden. Der offene Brief so vieler bedeutender Akteure deutet darauf hin, dass sich immer mehr dieser Sichtweise anschließen.

 

Hammelburg, 17. Mai 2019

Ihr Hans-Josef Fell