Erneuerbare Energien verringern die geopolitischen Risiken, Spannungen und Abhängigkeiten

Liebe Leserinnen und Leser,

Erneuerbare Energien verringern die geopolitischen Risiken, Spannungen und Abhängigkeiten

Das heutige fossil-atomare Energiesystem ist ein wesentlicher Verursacher für geopolitische Risiken, Konflikte, politische Abhängigkeiten und Kriege. Es ist kein Wunder, dass viele Kriege genau dort sind, wo Erdöl gefördert wird. Die aktuellen Spannungen zwischen den USA, dem Iran und Saudi-Arabien entlang einer zentralen Erdölroute, der Straße von Hormus, sind bezeichnend hierfür. Die Abhängigkeit der EU von russischen Energielieferungen und die daraus resultierende politische Ohnmacht der EU während der Okkupation der Krim durch Russland ebenfalls.

Nun gibt es immer wieder die These, insbesondere verbreitet von der fossil/atomaren Wirtschaft, dass eine Wirtschaft auf Basis von Erneuerbare Energien ähnliche Abhängigkeiten und geopolitische Risiken verursachen würde, wie das fossil-atomare. Insbesondere die Materialabhängigkeit von Lieferländern seltener Erden, Lithium und anderen Materialen würde eine ähnliche geopolitische Dimension erreichen.

Ein Papier des Norwegischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (Norwegian Institute of International Affairs – NUPI) hat sich diesen großen „aufkommenden“ Mythen angenommen, die rund um Erneuerbare Energien und Geopolitik entstanden sind. Der Autor Indra Overland hat einige dieser Mythen ausgemacht und weitestgehend entkräftet.

  1. Wettbewerb um kritische Materialien

Das meist gehörte und am stärksten betonte Argument ist, dass sich Ressourcenkonflikte mit einem Ausbau der Erneuerbaren Energien lediglich weg von fossilen Energieträgern hin zu „kritischen Materialien“ verlagern würden, da letztere für die Herstellung regenerativer Technologien unerlässlich seien. Generell lassen sich s.g. kritische Materialien definieren als seltene Rohstoffe, die bisher nicht durch existierende Technologien ersetzt werden können, von den meisten Staaten importiert werden müssen und deren Versorgung nur durch einige, wenige Staaten geschieht. Meist sind damit s.g. seltene Erden gemeint. Jedoch sind viele dieser „seltenen“ Erden gar nicht so selten, sondern in großen Mengen in der Erdkruste vorhanden, wie Overland schreibt.

Andere Rohstoffe, wie zum Beispiel Lithium, Kobalt und Kupfer, sind essentiell für erneuerbare Technologien, aber keine seltenen Erden. Die Frage, welche Rohstoffe und Ressourcen entscheidend für erneuerbare Technologien und welche davon selten sind, lässt sich generell nur sehr schwer beantworten. Das liegt vor allem daran, dass die Energiewende auf technologischer Entwicklung und Innovation beruht und es sich daher kaum vorhersagen lässt, welche Rohstoffe für welche Technologie entscheidend sein werden und ob diese nicht innerhalb weniger Jahre durch weitere Innovationen ersetzt werden können.

Das Argument des verlagerten Ressourcenkonfliktes lässt zudem außer Acht, dass die meisten der seltenen Erden und sonstigen Rohstoffe wiederverwertet werden können. Es lässt sich demnach festhalten, dass einige Rohstoffe zwar im Preis steigen und somit hohe Gewinne für die jeweiligen exportierenden Staaten erwirtschaften könnten. Aus dieser Annahme könne man jedoch keineswegs auf eine einfache Verlagerung des Wettbewerbs um Rohstoffe schließen, vergleichbar mit dem der fossilen Ressourcen. Vielmehr sei das Risiko geopolitischer Konflikte um seltene bzw. kritische Materialien äußerst gering. Es sei laut Overland wahrscheinlicher, dass machtpolitische Asymmetrien zwischen rohstoffreichen und rohstoffarmen Staaten durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien abnehmen und damit auch das Risiko ressourcenbedingter Konflikte.

Die derzeitige Situation an der Straße von Hormus führt einem deutlich vo Augen, welche konfliktschürenden Risiken und Abhängigkeiten das derzeitige fossile Energiesystem mit sich bringt. Um einen der wichtigsten Zufahrtswege für Öl zu sichern, debattiert die deutsche Politik über einen Bundeswehreinsatz vor der Küste des Iran mit der Gefahr in die immer weiter eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen dem Iran und Großbritannien bzw. den USA hineingezogen zu werden. Eine vom Öl unabhängige Energieversorgung wäre die einfachste Möglichkeit, einem solchen Konflikt zu entgehen und dennoch lässt die derzeitige Bundesregierung wenige bis gar keine Schritte in diese Richtung erkennen.

  1. Ein neuer „Ressourcenfluch“

Der westliche Nachbar des Iran, der Irak dient vielen Kritikern der Energiewende denn auch als Paradebespiel für Overland’s zweiten Mythos: Ein neuer „Ressourcenfluch“. Der s.g. Ressourcenfluch ist die Annahme, dass Staaten, die reich sind an Rohstoffen und von ihrem Reichtum gerade nicht profitieren, sondern durch ihn geschwächt werden. Dieses Argument beruht vor allem auf der Ausbeutung dieser Staaten durch die eigenen Eliten oder andere Staaten. Beispiele sind der Irak, aber auch Angola.

Diese Annahme entkräftet Overland gleich mit mehreren Argumenten. Erstens, generiert der erneuerbare Sektor wesentlich mehr Jobs im Inland, was zu einer stärkeren Wirtschaft führt. Zweitens wird Erneuerbare Energie meist an Nachbarstaaten verkauft werden, was eine stabile Infrastruktur und deren beidseitige langfristige Finanzierung erfordert, was wiederum gegenseitig stabilisierende Wirtschaftsbeziehungen hervorruft. Daher folgert die Autorin, dass es zwar Herausforderungen gebe, aber ein erneuerbarer Ressourcenfluch unwahrscheinlich sei.

  1. Stromausfälle als geopolitische Waffe & Cybersicherheit

In einer immer stärker vernetzten Welt mit einem ansteigenden Level an Elektrifizierung und einem intensivierten, grenzüberschreitenden Stromhandel werden Argumente immer lauter, die vor Stromausfällen als außenpolitisches Instrument und zunehmenden Cyberangriffen warnen. Aber auch hier gilt, diese Ängste sind weitaus weniger berechtigt als angenommen. Erstens erlauben die Erneuerbaren Energien so gut wie jedem Land auf dieser Welt eine nahezu autarke Selbstversorgung, was Staaten lediglich vor die Frage stellt, ob es billiger ist Energie zu importieren oder eine eigene Erzeugungs-Infrastruktur aufzubauen. Daraus ergibt eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen exportierenden und importierenden Staaten, bei der auch Erneuerbare Energie-Exporteure darauf angewiesen sind, die Abnehmerländer „gut“ zu behandeln, denn sonst versorgen diese sich selbst, was es im Rahmen der fossilen Energieversorgung nicht möglich war.

Zweitens bietet die Energiewende die Möglichkeit zur Dezentralisierung regionaler und staatlicher Strom- und Wärmenetze, z.B. mit Millionen von Prosumer-Haushalten. Dies wird unsere Versorgungsnetze widerstandsfähiger machen. Somit tragen die Erneuerbaren mehr zu Cybersicherheit bei. Jedenfalls sind Stromversorgungssysteme mit zentralen Großkraftwerken wesentlich anfälliger für Hacker-Angriffe, als dezentrale Erzeugungsstrukturen.

Weniger Gefahren und mehr Chancen

Die Autorin weist abschließend darauf hin, dass vor allem die Ängste vor Ressourcenkonflikten und einem neuen „Ressourcenfluch“ argumentative Überbleibsel aus dem fossilen Zeitalter sind und sich nur unzureichend auf die neuen geopolitischen Realitäten eines erneuerbaren Energiesystems anwenden lassen. Kein Energiesystem der Welt wird komplett konflikt- und hierarchiefrei sein. Und dennoch – so zeigt es dieses Papier eindrucksvoll auf – bietet die Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien sehr gute Voraussetzungen, um Fehler aus Vergangenheit nicht zu wiederholen, unsere Welt friedlicher und unser geopolitisches System ausgeglichener zu gestalten.

Hammelburg, 6. August 2019

Ihr Hans-Josef Fell