Erdgas als Brücke ins Solarzeitalter? Skandalös: EU-Wind- und Solarverbände lobbyieren aktiv für Erdgas

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Ein kürzlich erschienener Artikel in der britischen Zeitung The Guardian zeigt, dass der europäische Windverband EWEA und der europäische Solarindustrieverband EPIA aktiv für Erdgaskraftwerke lobbyieren. Der Grund: seit 2009 begannen große im Mineralöl- und Erdgasgeschäft aktive Konzerne die beiden Verbände zu unterwandern. Vor allem Total, ENEL, E.ON, EDF, Dupont – alles große europäische Konzerne mit großen Geschäften im Erdgassektor – haben sich Sitz und Stimme in den europäischen Erneuerbare-Energien-Verbänden erkauft und beeinflussen so mit ihren Erdgasinteressen deren Politik.

Offensichtlich ist die vielfach selbst in Umwelt- und Klimaschutzverbänden und sogar in Grünen politischen Kreisen verbreitete Meinung, Erdgas sei umweltfreundlich und unverzichtbar, um die Schwankungen der Wind- und Solarstromerzeugung auszugleichen, Ergebnis einer erfolgreichen Strategie der Erdgaskonzerne. Wenn denn selbst die europäischen Verbände der Erneuerbaren Energien verbreiten, dass die Solar, Wind, Biogas etc. die Energiewende nicht alleine schaffen können, dann ist es doch kein Wunder, dass sich weite politische Kreise nicht vorstellen können, ein Ziel für 100% Erneuerbare Energien anzugehen und umzusetzen.

Dabei haben längst umfangreiche wissenschaftliche Studien, z.B. von den renommierten Fraunhofer Instituten ISE in Freiburg und IWES in Kassel, nachgewiesen, dass eine Stromversorgung mit 100 % Erneuerbaren Energien selbst in dem großen Industrieland Deutschland möglich ist. Erdgaskraftwerke werden darin nicht benötigt. Statt diese Erkenntnisse zu verbreiten, machen die europäischen Verbände der Erneuerbaren Energien und vielfach auch Firmen der Branche unverhohlen politische Werbung für Erdgas.

Dabei ist Erdgas ein Klimakiller ersten Ranges. Die CO2-Bilanz über den Lebenszyklus z.B. von russischem Pipelinegas ist keinen Deut besser als die des Erdöles. Beim Transport über 7.000 Kilometer Pipeline aus Sibirien, wo ein Teil unseres Erdgases herkommt, ist die CO2-Bilanz eines Erdgasautos sogar schlechter als die eines Diesel PKW, so die Ergebnisse eines umfangreichen Forschungsprojektes des Joint Research Centre der EU-Kommission. Die machtpolitischen und krisenbefördernden Abhängigkeiten der Erdgasversorgung der EU scheinen die europäischen Solar- und Windenergieverbände auch nicht zu stören. Da die konventionelle Erdgasversorgung in Europa seit Jahren deutlich abnimmt, leisten damit die Verbände indirekt sogar dem umweltschädlichen Fracking Vorschub.

Wer sich wie EPIA und EWEA so sehr vor den Karren der alten Energieverbände spannen lässt, statt eigenständig die Vorteile der Erneuerbaren Energien für Umwelt und Energieversorgungssicherheit in den Vordergrund zu rücken, muss sich nicht wundern, wenn dann die Erneuerbaren Energien in der Politik unter die Räder geraten. Die europäische Solarwirtschaft hat damit schon bittere Erfahrungen machen müssen. Die europäische Windbranche hat daraus aber offensichtlich noch nichts gelernt.

Es wird höchste Zeit, dass sich die europäischen Verbände der Erneuerbaren Energien neu organisieren, vor allem um sich frei zu machen vom Einfluss der alten Energiewirtschaft. Der lesenswerte Artikel im Guardian.

Die Ergebnisse des Joint Research Centre der EU-Kommission zur CO2-Bilanz von Erdgas und Erdöl: „Well-to-Wheels Analysis of Future Automotive Fuels and Powertrains in the European Context

Berlin den 19.02.2015

Ihr Hans-Josef Fell
Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG 2000